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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Dresdner Bank oder das Stadtbad.
    Heiko stoppte gleich zu Anfang, kaum dass wir die Waagerechte erreicht hatten, setzte den Wagen noch ein Stück zurück, bis er mit dem Stoßfänger an einer der drei Mauern stand, die lange Wand zu seiner Linken, schaltete die Automatik auf >S< herunter, stellte den Fuß auf die Bremse und lehnte sich, bei laufendem Motor, zurück.
    Sie hatten ausdrücklich gefordert, dass ich allein käme, doch konnte das unmöglich ihr Ernst gewesen sein.
    Trotzdem sagte ich: »Mach dich ein bisschen klein«, bevor ich mir die Kühltasche schnappte und mich auf die Suche nach der angekündigten Markierung machte. Grunzend rutschte er etwas in seinem Sitz nach unten und hielt die Flamme seines Dupont-Chinalack-Feuerzeuges an eine Mentholzigarette. Nein, er war kein Biker und würde niemals einer sein, »Ein Wink mit der Hand von dir, und ich komme und fahr sie über den Haufen, okay?«
    Ich nickte, stumm, und schloss die beiden Türen. Es war soweit. Soviel Zeit auch vergangen war, zur Vorbereitung war nichts geblieben. Vielleicht war es die Umgebung, die auf mich abfärbte, aber auch ich begann, mich leer zu fühlen, verlassen und nackt, wie ich so einherschlurfte über eine aufgemalte Parkbucht nach der anderen. Nackt und machtlos, wie jemand auf dem Weg zu seiner Aburteilung, wie fast schon tot, während mich von draußen die Geräusche der Stadt umspülten, Straßenbahnbimmeln, LKW-Dieselgrollen, Autoradiowummern, Kinderstimmen und, aus der Ferne, Sirenengeheul. Geräusche von Leben, wirklichem Leben. Dies hier war irreal, das zähe Ende eines langen, beklemmenden Traumes, wo man zuckt und murmelt und stöhnt und eigentlich nur noch aufwachen möchte.
    Mitten auf Parkfläche 466 hatten sie ein Kreuz aus Malerkrepp aufgeklebt. Die Anweisung war, mich draufzustellen, und da ich keinen Grund erkennen konnte, das nicht zu tun, machte ich es auch. Mit dem Rücken zur Wand, wie es der Instinkt befiehlt. Irgendwo hinter mir summte ein Aufzugmotor oder der eines Generators oder größeren Kühlaggregates und überlagerte etwas die sonstige Lärmkulisse.
    Von wo würden sie kommen? Ich schaute nach links, ich schaute nach rechts, ich stand da mit meiner Kühltasche in der Hand wie verabredet zu einem Picknick. Oder einem größeren Drogendeal. Und genauso musste das aussehen, dachte ich, so für mich, von den vielen, vielen Fenstern der Bank gegenüber aus. Also sollten sie sich so langsam mal blicken lassen, dachte ich, damit wir es endlich hinter uns bringen, und zwar bevor da drüben jemand auf die Idee kommt - Das Summen hinter mir wurde mit einem Mal doppelt so laut, und etwas Kaltes presste sich im gleichen Augenblick gegen den linken Muskelstrang meines Nackens.
    »Nur eine Bewegung von dir, und ich knall dich ab«, sagte eine Männerstimme in mein rechtes Ohr.
    Etwas Rundes, Kaltes. Hohl in der Mitte. Wie die Öffnung eines Flaschenhalses. Und die Stimme war nicht die vom Telefon. Diese hier war verhalten, aber keineswegs verstellt, und von schwach amüsierter Gelassenheit.
    Oder das kalte, runde Ende eines Stückchen Stahlrohrs.
    »Sobald ich es sage, lässt du die Tasche los.«
    »Erst wenn ich Willy da drüben im Auto sitzen sehe. Eher nicht.«
    Natürlich hätte es auch die Mündung einer großkalibrigen Waffe sein können, doch irgendwie bekam ich das Bild nicht aus dem Kopf, dazustehen wie angewachsen, mit dem Tod durch Erschießen bedroht von nichts als dem schlanken Hals einer leeren Pulle Amselfelder.
    »Willy setzen wir an einer Telefonzelle ab, sobald wir das Geld gezählt haben.«
    Das passte mir überhaupt nicht. Nur eine Bewegung, und ich war tot, trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Ohne Willy keine Knete.«
    »Wie du willst. Ich zähle bis drei, und dann nehme ich sie mir. So oder so.« Und der runde, kalte Druck gegen meinen Nackenmuskel verstärkte sich nachhaltig.
    Ich dachte daran, mich einfach umzudrehen und ihn mir zu krallen.
    »Eins ...«
    Ich dachte daran, zu winken und zur Seite zu springen und zuzusehen, wie Heiko ihn auf die Haube nahm.
    »Zwei ...«
    Ich dachte an Selbstjustiz und Folter. »Uuund Hopp!«
    Und ich ließ die Tasche los. Russisch Roulette wird nie mein Ding sein. Das kalte, runde Etwas verließ mein Genick.
    Ich fuhr herum.
    Der Motor des Benz brüllte auf, Reifen quietschten.
    Vor meinen Augen fiel eine im gleichen Grau wie die Wand gestrichene, mit Lüftungsschlitzen versehene Stahltür ins Schloss. Dahinter brummte es, wie die ganze Zeit schon. Eine

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