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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Dessous-Models, das sich nun in Tränen aufgelöst einen neuen Beschäler wird suchen müssen. Ansonsten bringt es keinen Spaß.
    »Wir brauchten ein möglichst unauffälliges Auto«, bemerkte ich, als wir aus dem Haus eilten.
    »Hamwer«, knurrte Heiko.
    Ich verzog schmerzhaft das Gesicht, sprachen wir beide doch offensichtlich über ein und denselben Wagen, und zwar den ellenlangen 450er Mercedes, mit dem er hergekommen war. Das chromüberladene Modell mit dem breiten Arsch und der schmalen Spur, das für mich bis in alle Ewigkeit >Zigeunerdaimler< heißen wird. Nicht unbedingt die diskreteste Art der Fortbewegung. Ich fragte gar nicht erst, woher er ihn hatte. Einen Tag oder so nach der Haftentlassung.
    »Ich fahre Benz«, blaffte Heiko in einem Ton, der mich eindeutig vor weiteren Grimassen oder gar Kommentaren warnte, »und Silbergrau ist das Unauffälligste, was es gibt.«
    Ah so.
    Wie sein Bruder Charly ist Heiko Anführer von Geburt an. Es ist, meine ich, genetisch bedingt und hat eigentlich nichts damit zu tun, dass die Zimmermanns keinen über sich dulden, ist somit kein Aufbegehren als Akt des Willens, sondern eher ein Mangel an Phantasie: Sie können sich beide niemanden vorstellen, der ihnen Kommandos geben wollte.
    Das ergibt eine, wie man sich denken kann, schwierige Bruderbeziehung, um es vorsichtig auszudrücken, und der einzige Grund, warum Heiko Charly die Stormfuckers kampflos überlassen hat, ist der, dass Heiko von Haus aus kein Biker ist.
    Heiko ist, tja, da gibt es eigentlich kein vernünftiges Wort für. Heiko ist kriminell, soviel ist sicher, doch kriminell auf eine unfassbar spießbürgerliche Art. Ein Gangster mit Ehefrau, mit manikürtem Vorgarten und einer Wohnzimmerschrankwand in Eiche brutal. Er hat es mit den Stormfuckers versucht, sicher, in ihrer Anfangszeit, doch wer nur eine einzige Ausfahrt lang mit ansehen musste, wie er bei jedem Stopp erst mal mit 'nem Lappen über seine Alligatorstiefeletten ging und dann mit Stielkamm und Rundbürste an seine von Helm und Fahrtwind ruinierte Minipli-Frisur, spürte, dass er nicht mit dem Herzen dabei war. Nach nur einem halben Jahr hat er seine - typisch - BMW R 100 RT, deren Anblick und Fahrgeräusch mir permanentes, trockenes Würgen verursachten, verkauft und sich von uns verabschiedet.
    Auf dem Papier hatte er demnach nichts mehr zu melden, doch Papier ist, wie man so schön sagt, geduldig. Er nicht.
    Ohne ein weiteres Wort holte ich die Kühlbox aus dem Toyota, verfrachtete sie neben Scuzzi auf die Rücksitzbank des Benz, ließ mich in den Beifahrersitz fallen, und Heiko kickte das 6,9-Liter Graugussmonster aus dem Schlaf.
    Der Minutenzeiger meiner Uhr machte einen Satz, und die dreißig Minuten waren um. Oder zumindest kam es mir so vor. Ich hatte noch groß planen, aushecken, beratschlagen, abwägen und organisieren wollen, doch als wir an der Auffahrtrampe des Parkhauses ankamen, blieben uns gerade noch zwei Minuten der Frist. Einer der Gründe für unser spätes Eintreffen war ein blaulichtflackernder und sirenenheulender Zug aus mindestens zehn Streifenwagen, fünf Krankenwagen und etwas, was aussah wie die komplette Mülheimer Berufsfeuerwehr, der uns zum Anhalten und Abwarten gezwungen hatte auf seinem Weg über die Ruhr. Richtung Saarn.
    Ich tat in aller Eile, was ich konnte, und improvisierte, besetzte die Rollen nach Eignung.
    Scuzzi ließen wir unten, im seit der Installation von Ticket-Automaten verwaisten Kassenhäuschen zurück, bis an die Zähne bewaffnet mit Zettel und Kuli und instruiert, Fabrikat, Farbe und Kennzeichen aller aus- und eingehenden Autos zu notieren und ansonsten auf weitere Anweisungen zu warten.
    Dann richtete Heiko die besternte Haube rampenaufwärts, und mit flüsterndem Motor erklommen wir Etage um Etage.
    Die Anfahrt zu Parkebene Nummer vier war mit einer Baustellenabsperrung blockiert. Ich stieg aus, hob den rotweißen Riegel aus seinen Haltern, ließ den Daimler durch, hängte das Ding zurück und stieg wieder ein.
    Ebene vier war leer, verlassen, nackt. Nackt, wie es nur eine leere, verlassene Parkhausetage sein kann. Nicht einmal Betonsäulen trübten den freien Blick auf die asphaltierte, mit weißen Streifen schraffierte Fläche. Eine Seite war Wand, nur unterbrochen von den Durchfahrten nach unten oder oben, die restlichen drei bestanden aus hüfthohen Betonmauern mit viel frischer Luft darüber und den Aussichten auf wahlweise das angeschlossene Kaufhaus, das lang gezogene Gebäude der

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