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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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mich nicht gewundert, ihn jeden Moment etwas wie >Drei Schwünge mit der Birne und das Ding liegt flach< sagen zu hören.
    Ich fühlte mich bestenfalls seltsam, fremd, mit einem Schrotgewehr in Händen, doch mein Freund Pierfrancesco hatte sichtlich seinen Spaß daran. Er hielt die Lippen leicht geschürzt, zielte abrupt mal hierhin, mal dahin und fand sich cool dabei.
    »Du warst schon drin in der Bude?«, fragte Heiko, und ich nickte.
    »Grundriss in zwanzig Worten«, forderte er.
    »Eingangstüre links, nach rechts mittelgroßer Schankraum, Theke gegenüber, Küche dahinter, Türe zu den Scheißhäusern auf der rechten Stirnseite«, antwortete ich und blieb damit noch zwei Schläge unter Par, wie es der Golfer ausdrücken würde.
    Wir stiegen die knarzenden Stufen zur Eingangstüre hoch, ich merkte plötzlich, dass ich eigentlich noch mal rasch aufs Klo gemusst hätte, und einen Höllendurst hatte ich auch. Heiko zog uns dicht an sich heran, zwang damit die Gewehrläufe himmelwärts, probierte die Klinke - es war abgeschlossen - und klopfte energisch.
    Das Jaulen der Hunde machte es unmöglich, etwaige Bewegungen in der Kneipe zu hören, doch nach der kleinen Ewigkeit von vielleicht zwanzig oder dreißig Sekunden fragte eine Männerstimme hinter der Türe »Wer da?«, und Heiko öffnete den Mund und - stockte.
    Vergessen, sich einen Namen zurechtzulegen.
    »Nagold«, rief ich, und mein Gegenüber machte den Mund wieder zu und nickte zufrieden.
    Kratzend drehte sich der Zylinder im Schloss, die Klinke klappte nach unten, und der Öffnende flog taumelnd bis gegen die Theke, als Heiko sich mit voller Wucht gegen die Türe warf. Wir, Scuzzi und ich, fielen in seinem Sog mehr in den Raum hinein, als dass wir bewusst gegangen wären.
    Zwölf, fünfzehn Ironheads der eisenschädeligen Sorte starrten uns für die eine Sekunde vollkommen verblüfft an, die ihre Hirne brauchten, um die Situation zu deuten. Dann schlug die Verblüffung in Hass um. Sie waren über einen Tisch mit einer Zeichnung oder sonst einem großen Bogen Papier gebeugt gewesen, bei Neonlicht und geschlossenen Blendläden, und mein Eindruck war, dass wir durch Zufall in ein konspiratives Treffen hineingeraten waren. Und zwar des harten Kerns, wie es aussah. Das waren keine minderjährigen Bubis hier in der Versammlung, Krieg spielenden Hosenscheißer, keine Pummelchen, die noch bei Mama wohnten. Wer uns da mit rasant anwachsender Wut entgegenstierte, war die Stahlhelmfraktion der Ironheads, der Schlägertrupp, das Terrorkommando. Und sie waren uns zahlenmäßig eins zu vier oder fünf überlegen.
    Wäre Heiko nicht gewesen, sie hätten uns in Stücke gerissen, Pumpguns oder nicht. Die kollektive Entscheidung, sich auf uns zu stürzen, war schon gefallen, ohne dass auch nur ein Wort gewechselt worden wäre, ich konnte sie spüren, und es wäre passiert, jetzt, wenn Heiko, wie Scuzzi und ich, einfach stehen geblieben wäre. Doch stattdessen schritt er in aller Unbefangenheit an die Theke, was verständlicherweise für Aufmerksamkeit sorgte, für Ablenkung, Verwirrung, griff sich einen hölzernen Barhocker, riss ihm ein Bein ab, und als einer der Ironheads, ein komplett kahl rasierter Stiernacken von mindestens einsneunzig, knurrte: »Ihr seid schon tot und wisst es nur noch nicht«, machte er einen abrupten Schritt auf ihn zu und schlug ihm das Holzbein mit Wucht auf die rechte Schulter. Der Stiernacken ächzte, und Heiko schlug augenblicklich noch mal zu, auf die gleiche Stelle, was alle im Raum zusammenzucken und sich innerlich winden ließ, und der Stiernacken wurde fahl und sackte auf die Knie, am Rande der Ohnmacht vor Schmerz.
    Das kippte die Stimmung im Raum komplett.
    Noch mal: Dies hier waren lauter D.O.s, lauter Schissers, Hohos, Pit Bulls und der in der Mitte, mit dem Gipsbein auf dem Tisch, war ihr Charly, es handelte sich also samt und sonders um kampferprobte Härtefälle, doch es gibt wohl nichts Einschüchternderes als die Präsenz eines zu allem entschlossenen, gewalttätigen Wahnsinnigen. Heiko riss erneut sein Barhockerbein in die Höhe, und mehrere Ironheads hielten sich die Hände über den Kopf, zum Schutz, wie man das so macht.
    »An die Wand!«, bellte er, und sie wichen zurück, Schritt für Schritt, alle Augen auf ihn gerichtet und mit Mienen, aus denen man das Erstaunen, den Unglauben über ihr eigenes Verhalten herauslesen konnte.
    Scuzzi schien zu glauben, wir hätten schon gewonnen, denn er hob sein Gewehr an die Schulter und

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