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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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in den Rückspiegel. Darin sah sie den schwarzen Bezug der Sitze und ein Viertel eines Frauengesichts. Jule fuhr einen winzigen Sekundenbruchteil zusammen.
    Sie blinzelte, und der beunruhigende Eindruck verschwand. Was für ein absurder Gedanke! Kirsten Küver saß nicht auf ihrer Rückbank. Und auch sonst saß da niemand. Als sie sich wieder beruhigt hatte, startete Jule den Motor.
    Aus der Klimaanlage, die sich den ganzen Tag über geweigert hatte, für Kühlung zu sorgen, wehte ihr ein eisiger Hauch entgegen.

76
     
    Er war verunsichert. Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, dass sie zu ihrer Mutter gefahren war. War das Teil ihres neuen Spiels?
    Er hatte Kirstens Mutter nie gemocht. Sie war zu neugierig. Sie stellte zu viele Fragen. Das hatte sie früher auch schon gemacht. Was, wenn sie Kirsten nach dem großen Geheimnis gefragt hatte?
    Nein, daran durfte er nicht denken. Außerdem musste er Kirsten vertrauen. Sie hatte immer zu ihm gehalten und nichts verraten. Warum sollte sie es ausgerechnet heute tun?
    Er zwang sich, an etwas Schönes zu denken. Daran, wie Kirsten nicht einmal bemerkt hatte, dass er ihr gefolgt war. Oder hatte sie nur so getan, als wäre er ihr in seinem Wagen, den er an der Hauptstraße geparkt hatte, gar nicht aufgefallen? War auch das nur Teil des neuen Spiels, das sie mit ihm und für ihn begonnen hatte?
    Er schaute sich um. Die Leute aus dem Dorf durften ihn nicht dabei erwischen, wie er Kirsten beobachtete. Manche ahnten bestimmt, wie ihr altes Spiel ausgegangen war, und sie hätten nie verstanden, warum es so geendet hatte.
    In Zukunft musste er vorsichtiger sein. Es war gefährlich, einfach nur auf ein fremdes Haus zu starren und dabei davon zu träumen, was wohl noch alles kommen würde. Das war riskant von ihm gewesen. Warum hatte er das getan? Es gab doch einen Ort ganz in der Nähe, an dem er sich nicht darum sorgen musste, ob ihn jemand sah. Einen Ort, an dem er ganz er selbst sein konnte, an dem seine Rolle und sein wahres Ich vollkommen zusammenfielen. Er war froh, dass die Leute hier nicht wussten, dass es diesen Ort gab. Sie hätten etwas Schreckliches darin gesehen und nie begriffen, was er für ihn bedeutete.

77
     
    »Hast du dich wieder eingekriegt?«
    Hans-Hermann Mangels sah sich als Mann, der jedem eine zweite Chance gab – sogar einer so unangenehmen Person wie Ute Jannsen. Deshalb hatte er heute auch nach Feierabend erst Bismarck bei seiner Frau abgeliefert, um sich danach noch einmal auf den Weg zum Pfarrhaus zu machen. Utes Miene nach zu urteilen hätte er sich diesen Weg jedoch sparen können.
    »Was willst du?« Wie bei Mangels’ letztem Besuch ließ ihn Ute nicht ins Haus. Sie machte sich im Türrahmen so breit, wie es ihr dürrer Wuchs erlaubte. »Hast du vor, mich noch mehr unter Druck zu setzen?«
    »Ich wollte eigentlich das Kriegsbeil mit dir begraben«, erklärte Mangels. »Und dabei nachhorchen, ob du Erich vielleicht inzwischen so weit hast, dass er mit sich reden lässt. Margarete –«
    »Halt den Mund!«, sagte Ute scharf.
    »Ich lasse mir doch von dir nicht das Wort verbieten! Ich komme hierher, um dir die Hand zu reichen, und du –«
    »Halt den Mund«, sagte sie noch einmal, leiser und geradezu flehend.
    Ihm fiel auf, dass sie ihn dabei nicht anschaute, sondern an ihm vorbei in den Garten spähte. Mangels wandte sich um. Sein Groll erlosch. Ute hatte ihn nur warnen wollen: Einer der beiden Kriminalbeamten, die wegen des Leichenfunds ermittelten, kam durch den Garten auf sie zu. Leider war es nicht Gabriel Smolski. Es war der andere, Hoogens, der auf Mangels von Anfang an aggressiver, gefährlicher gewirkt hatte. Mangels rang sich trotzdem zu einem Lächeln durch.
    »Schön, dass ich Sie beide zusammen erwische.« Hoogens erwiderte das Lächeln nicht. »Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. Ich bin … also, sagen wir mal schwerwiegend verwundert, dass es keiner von Ihnen bisher für nötig gehalten hat, mir von Kirsten Küver zu erzählen. Erinnern Sie sich? Bestimmt. Wenn nicht, helfe ich Ihnen gern auf die Sprünge: Eine große blonde Frau, die Odisworth vor ein paar Jahren in Richtung Hamburg verlassen hat und die dann so ungefähr vor anderthalb Jahren spurlos verschwunden ist.«
    »Ich bin nur der Bürgermeister von Odisworth«, sagte Mangels rasch. »Nicht der Bürgermeister von Hamburg. Wenn jemand von hier fortgeht, bin ich nicht mehr für ihn zuständig. Außerdem ist sie doch angeblich irgendwo in Asien.

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