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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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anbelangt …« Er zuckte die Schultern. Seine nächsten Worte klangen sanft und geradezu entschuldigend. »Da lassen die Indizien zumindest die Hoffnung zu, dass sie sich einfach nur irgendwohin abgesetzt hat, um ein neues Leben anzufangen. So etwas kommt öfter vor, als man denkt.« Er schaute nach unten. Erst dachte Jule, er würde seinen Blick schon wieder auf seine Armbanduhr richten, doch dann fuhr er sich über den Ringfinger der rechten Hand. »Viel öfter. Sie würden sich wundern, wie leicht es nach wie vor ist, komplett unterzutauchen, wenn man nur die nötige Bereitschaft dazu mitbringt. Wenn man die Kooperation mit dem System verweigert, das üblicherweise dafür Sorge trägt, dass zumindest einige Behörden den ungefähren Aufenthaltsort einer bestimmten Person kennen.«
    Jule knetete sich das Ohrläppchen. Sie wollte nichts mehr hören über Menschen, die spurlos verschwanden, als hätte es sie nie gegeben, über Menschen, die als bestialisch zugerichtete Leichen in einem Fluss oder in einem Waldstück verscharrt wieder auftauchten. Was sie hören wollte, war, wie man solche Tragödien verhinderte. Und wie man ihre Urheber zur Rechenschaft zog. »Und was tun Sie jetzt, um den Mörder aufzuspüren?«
    »Wir stehen vor schwierigen Ermittlungen«, räumte Smolski ein. »Und falls der Täter wirklich hier aus der Nähe kommt und falls er seine Opfer auch noch persönlich kannte, werden sie noch viel schwieriger.«
    »Wieso?«
    »Weil er dann sein Revier genauso gut kennt wie wir«, entgegnete Smolski. »Mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser. Und er kann sich hier frei bewegen, ohne dass er jemandem auffällt. Fremde, tja, auf die achtet man unter Umständen. Aber auf den eigenen Nachbarn?«
    Jule brauchte einige Sekunden, bis sie erkannte, warum sie sich ein wenig besser fühlte: Das Knirschen, das an ihren Nerven gezerrt hatte, hatte aufgehört. Sie blickte zum Haus. Eva war nicht mehr im Garten. »Aber wie passt die Frau aus Hamburg da hinein?«
    Er nickte anerkennend und steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel. »Da legen Sie den Finger genau in die Wunde. Sie passt eben nicht zu unseren bisherigen Annahmen.« Er seufzte. »Aber so oder so erhoffen wir uns nach wie vor, dass jemand hier aus dem Dorf trotzdem etwas gesehen haben könnte, das uns irgendwie weiterhilft.« Er lachte unvermittelt auf. »Das würde natürlich voraussetzen, dass man einigermaßen offen über alles redet. Und das wird hier kaum passieren.« Er spuckte seine Kippe aus. »Ich hasse diese Scheißdörfer!«
    »Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.« Jule sehnte den Tag herbei, an dem die Odisworther Bauern endlich ein Einsehen hatten und ihr Land für den Windpark zur Verfügung stellten. Der Tag, an dem sie diesem grauenhaften Dorf den Rücken kehren und nie wieder einen Gedanken daran verschwenden würde.
    »Sie haben gut reden«, knurrte Smolski. »Wenigstens mussten Sie nicht in so einem Kaff aufwachsen.«
    »Oh.«
    »Was ist?« Smolski grunzte misstrauisch und schüttelte die nächste Zigarette aus der Packung.
    »Das merkt man Ihnen nicht an«, sagte Jule. »Dass Sie vom Dorf kommen, meine ich. Und Ihr Name –«
    »Ist polnisch«, fiel er ihr ins Wort. »Ich weiß. Deshalb haben mich ja achtzehn Jahre alle aus meinem Dorf immer nur den kleinen Polen genannt. Charmant, was? Der große Pole war mein Vater. Er war Schiffsbauingenieur aus Danzig und hat meine Mutter auf der Fähre von Helsinki nach Kopenhagen getroffen. Eine typische Romanze aus dem Kalten Krieg. Er hat sich in den Westen abgesetzt, und meine Mutter, die Lehrerin in Lübeck gewesen war, hat dann ihren alten Traum vom Selbstversorgerhäuschen auf dem Lande umgesetzt. Total spitze für die beiden, nur bedauerlicherweise echt öde für mich. Am Anfang ist das ja noch ganz schön. Der große Garten, das Toben, das Spielen auf der Straße. Dann wird man irgendwann zwölf, und –«
    »Es tut mir leid, wenn ich hier so reinplatze.« Eva erweckte den Anschein, als wäre es ihr tatsächlich unangenehm, sich einzumischen. Ihre Lippen waren dünne Striche, ihre Haut kreidebleich. Sie war wie aus dem Nichts am Gartenzaun aufgetaucht und winkte aufgeregt mit einem Stapel großformatiger Fotos. »Herr Kommissar, vorhin beim Jäten, da hab ich ein bisschen was von dem gehört, was Sie mit Frau Schwarz besprochen haben.«
    »Aha.« Smolski zog eine Augenbraue in die Höhe. »Und da war ganz offenkundig etwas Interessantes für Sie dabei.«
    »O ja. Wegen der

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