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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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so besorgt geklungen. Erst nachdem sie Smolski erwähnt hatte, war er ruhiger geworden, fast wie ausgewechselt.
    Eigentlich musste sie Smolski sofort davon erzählen. Doch das konnte sie nicht. Er würde sie fragen, woher sie Seger kannte. Und dann würde sie ihm gestehen müssen, dass sie in therapeutischer Behandlung war. Das wäre sicher nicht gerade ein Pluspunkt in Sachen Attraktivität. Außerdem stand Eva Jepsen daneben, und wenn die etwas von Jules Therapie mitbekam, wusste es einen halben Tag später das ganze Dorf. Das durfte nicht passieren. Also blieb sie stumm.
    Sosehr Jule Smolskis Gegenwart ansonsten schätzte, so groß war nun ihre Ungeduld, ihn endlich in seinem Wagen davonfahren zu sehen. Sie wollte dringend jemanden anrufen.

81
     
    »Warum waren Sie in Odisworth?«, fiel Jule mit der Tür ins Haus.
    »Jule? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Seger. Seine verblüffte Erwiderung machte sie vom einen auf den anderen Moment stocksauer. Sie fühlte sich verraten. »Antworten Sie mir.«
    »Jule, ich bin in einer –«
    »Antworten Sie mir, verdammt!«, zischte sie. Sie hatte nicht vor, sich mit fadenscheinigen Ausreden abspeisen zu lassen. Unruhig sprang sie vom Bett auf und lief vor dem Fußende auf und ab.
    »Einen kleinen Moment, ja?« Seger besaß genug Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass er sie nicht einfach auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten konnte. Er murmelte eine leise Entschuldigung, die nicht an Jule gerichtet war. Danach hörte sie ein Ächzen, schwere Schritte und das Zuklappen einer Tür. »Könnten Sie mir bitte erklären, was dieses Affentheater soll?«
    »Ich habe Sie eben auf ein paar interessanten Fotos gesehen«, sagte Jule. »Sie waren in Odisworth. Und zwar nicht nur einmal. Wieso?«
    Seger wählte eine Strategie, die er auch bei ihren Therapiesitzungen oft verfolgte. Er beantwortete eine Frage mit einer Gegenfrage: »Was glauben Sie denn?«
    »Ich glaube, dass …« Jule stockte. Was glaubte sie eigentlich? Dass er ein Mörder war, der reihenweise blonde Frauen umbrachte? Dieser Mann, der ihr dabei geholfen hatte, eine Angst zu überwinden, die sie schon als unbesiegbar eingeordnet hatte? Es war ein geradezu perverser Verdacht. Ihn auszusprechen, hätte irreparablen Schaden in ihrer Beziehung angerichtet. Wollte sie das?
    »Jule, hören Sie mir zu«, kam er ihr zuvor, ehe sie einen vielleicht unverzeihlichen Fehler begehen konnte. »Ich habe wirklich nicht viel Zeit. Eine Tür weiter sitzt jemand, der jetzt dringend meinen Beistand braucht. Dringender als Sie.« Er legte eine Pause ein. »Ja, ich bin ein paarmal in Odisworth gewesen. Ich hatte dort beruflich zu tun.«
    Einerseits war Jule über die emotionale Erpressung empört, die er durch die Erwähnung eines anderen Patienten unternommen hatte. Andererseits hatte er ihr eben eine wichtige Information geliefert. Sie meinte beinahe, sie könnte hören, wie es irgendwo in ihrem Gehirn laut und deutlich klick machte, als öffnete sich das Schloss an einem Safe. Sie trat ans Fenster und musterte ihr schemenhaftes Abbild in der Scheibe. Er sagte die Wahrheit. Sie hatte ob des Schocks über die Bilder vergessen, was er war: Psychotherapeut. Und Kirsten Küver war in Hamburg in Behandlung gewesen. Das hatte ihr Anke Küver doch erzählt. Konnte wirklich alles so einfach sein?
    »Sie waren der Therapeut von Kirsten Küver«, sagte sie. Ihren Worten wohnte eine schneidende Schärfe inne, die sie nicht beabsichtigt hatte.
    »Das stimmt«, erwiderte er vorsichtig. »Woher wissen Sie das?«
    »Ich hatte mit Kirstens Eltern zu tun.«
    Er atmete tief ein. »Ich verstehe.«
    Jule ahnte, dass ihm der Verlauf dieser Unterhaltung ganz und gar nicht gefiel. Seger war es gewohnt, dass er die Kontrolle hatte, wenn er ein Gespräch mit ihr führte. Die Umkehrung der Machtverhältnisse stachelte sie nur noch mehr an. »Selbstverständlich nur beruflich«, fügte sie hinzu und betonte dabei jede Silbe des letzten Wortes überdeutlich.
    »Treiben Sie es nicht zu weit, Jule.«
    Womöglich war es die unterschwellige Aggression in seiner Warnung, die Jule auf etwas Unheimliches aufmerksam machte. »Warten Sie mal. Als Sie in Odisworth waren, da war Kirsten doch bereits verschwunden, oder nicht?«
    »Ich habe nicht die geringste Lust, mit Ihnen über eine meiner ehemaligen Patientinnen zu reden«, sagte Seger erstaunlich förmlich. »Abgesehen davon, dass es mir aus rein rechtlichen Gründen verboten ist, geht Sie das alles gar nichts

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