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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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Angelegenheit zu melden. Sie unterlegte die Zellen mit den Namen dieser Odisworther rot.
    Die andere Hälfte gab mehr Anlass zu Optimismus. Diese Odisworther, die Jule wenigstens zuhörten, spalteten sich in verschiedene Lager: Da waren erstens die Skeptiker mit ökologischen Bedenken, die sich jedoch mehrheitlich bereit erklärten, bei einem Treffen Jules Gegenargumente anzuhören. Jule markierte sie grün. Zweitens gab es die mehr oder weniger klugen Rechner, die sich von Jule konkrete Zahlen über potenzielle Zugewinnmöglichkeiten durch die Windkraftanlagen erwarteten und darüber auch gern persönlich mit ihr sprechen wollten. Ihnen wies Jule ein leuchtendes Gelb zu. Es blieben drittens die Zögerlichen, die – ähnlich wie die Küvers – im Grunde dringend Geld brauchten, aber sich auf keinen Fall Ärger mit ihren Nachbarn einhandeln wollten, weil sie als Erste eine feste Zusage machten. Ihnen verpasste Jule rosa als Kennfarbe.
    Alles in allem sah die Lage nicht schlecht aus. Die Liste erinnerte Jule zwar an ein abstraktes Kunstwerk aus Farbblöcken, doch es war das, was hinter diesem Eindruck lag, was zählte. Die Situation stellte sich folgendermaßen dar: Wenn es Jule irgendwie gelang, einen der Großen Drei – die Küvers, Fehrs oder Nissen – zu überzeugen, hatte sie die Zögerlichen ebenfalls sofort im Sack. Die klugen Rechner würden nachziehen, weil sie sich den möglichen Gewinn nicht entgehen lassen wollten. Und das wiederum würde schon reichen, um den nötigen Druck im Dorf aufzubauen, damit die ökologischen Bedenkenträger und letztlich auch die Verweigerer klein beigaben.
    Jule stand also wieder vor einem Problem, das sie bereits kannte: einen der Großen Drei für sich zu gewinnen. Fehrs hatte mehr als deutlich seine Ablehnung signalisiert, die Küvers zählten zu den Zögerlichen. Somit blieb nur Jan Nissen übrig – Nissen, der sich bisher als eine Art Phantom erwiesen hatte.
    Als Jule ihren Koffer für die Fahrt zurück nach Hamburg packte – es war Freitag, und das Wochenende würde sie niemals freiwillig in Odisworth verbringen –, hoffte sie inständig, dass Andreas wusste, wo Jan Nissen zu finden war.

84
     
    Bergedorf lag für Hamburger Verhältnisse am Ende der Welt. Es bildete den südöstlichsten Ausläufer der Stadt. Um es von Odisworth aus zu erreichen, musste Jule nicht nur die komplette City, sondern auch einen breiten grünen Ring aus Äckern, Feuchtwiesen und Naherholungsgebieten durchqueren.
    Die Fahrt dauerte eine Dreiviertelstunde länger als Jules übliche Route nach Hause. Andreas wohnte in einer ruhigen Straße gegenüber einer Schule, die in einem imposanten, mit steinernen Musen geschmückten Gebäude aus der Jahrhundertwendezeit untergebracht war. Unter anderen Bedingungen hätte sich Jule an der reichen Architektur und den vielen Spielereien an der Fassade erfreut. Heute nicht. An diesem Tag erinnerten sie die Statuen an die verwitterten Engelsfiguren, die auf alten Gräbern über die Toten Wache hielten.
    Jules morbide Stimmung ließ sich nicht abschütteln. Es war ein Fehler gewesen, zu glauben, ihre Angst sei weitestgehend besiegt. Ihre Phobie war heimtückisch und konnte Jules Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in bestimmte Richtungen lenken. Dadurch gewann sie eine erschreckende Wandelbarkeit. Manchmal hatte Jule das Gefühl, nicht gegen einen Teil ihrer selbst, sondern gegen eine andere Person anzukämpfen, mit der sie sich ein und denselben Verstand teilte – eine grausame, kühl berechnende Person, die alles daransetzte, Jule zu quälen.
    Auf der Fahrt nach Bergedorf hatte sich ihre Angst auf eine Weise manifestiert, wie sie es zuvor noch nie getan hatte: Sie trieb Jule dazu an, mehr wahrzunehmen, als ihr lieb war.
    Jule hatte jedes überfahrene Tier genau registriert. Jede Warntafel, die Autofahrer mit Bildern von Fahrzeugwracks dazu anhalten sollte, sich im Verkehr gesittet zu verhalten. Jedes kleine Holzkreuz am Straßenrand, das eine Stelle kennzeichnete, an der ein Mensch sein Leben verloren hatte.
    Am schlimmsten waren die Leichenwagen, die plötzlich überall zu sein schienen: Einer zog mit stark überhöhter Geschwindigkeit auf der Überholspur an ihr vorbei. Hinter einem anderen kam sie an einer roten Ampel in der Hamburger Innenstadt zum Stehen. Ein dritter behinderte sie durch ein unzulässiges Wendemanöver an einer Kreuzung auf der B5 nach Bergedorf. Und gerade eben, als sie in die Ernst-Henning-Straße abgebogen war, hatte sie einem

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