Der Wind bringt den Tod
sich wie von selbst um das Lenkrad. Beides geschah ohne Zögern, ohne umständliches Tasten, in einer einzigen fließenden Bewegung.
»Sehr gut«, lobte sie Rolf. »Und jetzt leg den Fuß aufs Gaspedal. Ganz vorsichtig.«
Der Motor reagierte auf das Antippen des Pedals mit einem kurzen Aufbrummen.
»Spürst du ihn?«, fragte Rolf. »Spürst du, wie er vor Vorfreude zittert?«
»Ja«, hauchte sie. Das lang vermisste Prickeln wurde stärker.
»Fahr einfach los«, sagte Rolf.
»Ich kann das nicht«, entfuhr es Jule in einem letzten Aufflackern ihrer Angst, aber sie hielt ihre Augen dabei fest geschlossen, wie er es von ihr verlangt hatte.
»Doch, du kannst.« Seine Antwort kam ruhig und so dicht an ihrem Ohr, dass sein Atem sie küsste. »Bei mir kann dir nichts passieren. Du fährst, und ich lenke.«
Seine Hände legten sich über ihre und übten einen sachten Druck aus. »Komm schon. Fahr los.«
Sie dachte daran, dass es Rolfs Entscheidung war, sie blind fahren zu lassen, nicht ihre. Seine Entscheidung, für die sie nicht die geringste Verantwortung trug. Und es fühlte sich wunderbar an, dass er diese Verantwortung für sie auf sich nahm. Sie ließ die Kupplung kommen und trat aufs Gas. Der Wagen beschleunigte. Ihr stockte der Atem. Befreiung und Schrecken verschmolzen in ihr nahtlos miteinander.
»Ruhig ein bisschen schneller«, schlug ihr Rolf vor.
Sie gab einen Laut von sich, der halb Wimmern, halb Jauchzen war, und hörte auf ihn. Der Motor heulte auf. Sie hörte das satte Schmatzen der Reifen auf dem Asphalt.
»So, jetzt ganz langsam abbremsen.«
Der Druck seiner Hände auf ihren nahm zu, als er sanft nach links steuerte. »Das reicht schon. Geh wieder aufs Gas.«
Jule fand eine sonderbare Form der Geborgenheit in dem Wissen, dass er neben ihr saß. Die Wärme zu spüren, die von seinem massigen Körper ausging. Seinen gleichmäßigen Atem, der ihr die Wange streichelte. Jede seiner Anweisungen war eine Ermunterung, sich ganz auf ihn zu verlassen, und sie wartete begehrlich auf jedes Wort von ihm.
»Bremsen. Ja, gut so.«
»Schalten. Gut gemacht.«
»Gib schön Gas.«
»Mehr Gas. Keine Sorge.«
In einem weit entlegenen, vergessenen Winkel ihres Verstandes heulte ihre Angst vor Wut und Zorn. Sie ignorierte sie. Alles, was jetzt noch zählte, war Rolfs Stimme und die zarte Kraft in seinen Händen.
114
Hoogens sah zum Faltpavillon der Spurensicherung über dem Loch neben der Brombeerhecke. Er wartete auf die Genugtuung, einen Mörder gefasst zu haben, doch sie wollte sich noch nicht einstellen. Vielleicht lag es an dem sauren Geschmack in seinem Mund, der ihn plagte, seit er gesehen hatte, was von der Spusi ausgegraben worden war. Vielleicht war es auch der Grabstein, der von einem dichten Geflecht aus Ranken überwuchert gewesen war. Die Inschrift lautete: MARGARETE. MEINE LIEBE. MEIN LEBEN. »Das ist krank.«
»Das kannst du laut sagen.« Smolski zog an seiner Zigarette.
»Glaubst du, er hat sie beide umgebracht?«
»Was weiß ich.« Smolski zuckte die Schultern. »Wenn es so war, dann hat ihm das mit seiner Frau anscheinend zumindest irgendwie leid getan. Der Sarg, in dem er sie beerdigt hat, war bestimmt nicht billig. Das sind echte Silberbeschläge, wenn mich nicht alles täuscht. Außerdem gibt es an ihr keine Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung.«
»Nur weil er sie nicht offensichtlich verstümmelt hat, kann er sie trotzdem ermordet haben. Was, wenn er sie im Schlaf mit einem Kissen erstickt hat? Alle drei Leichen, die wir auf seinem Grundstück gefunden haben –« Hoogens hob den Finger. »Halt, ich korrigiere mich: Alle drei Leichen, die wir bis jetzt auf seinem Grundstück gefunden haben, hatten Brautkleider an. Nicht nur seine Frau. Ist doch denkbar, dass es für die anderen keine Särge und Grabsteine gibt, weil er keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. En gros kann man Särge ja schlecht kaufen, ohne dass sich wer wundert.« Er schüttelte den Kopf. »Apropos: Welcher Bestatter besorgt dir denn eigentlich einen Sarg und einen Grabstein, wenn du nicht mit einem kompletten Trauerfall samt Verstorbenen bei ihm anklopfst?«
»Wahrscheinlich einer, der dringend Geld braucht und keine großen Fragen stellt«, vermutete Smolski. »Das wird uns Fehrs schon noch erzählen. Früher oder später.«
»Übernimmst du das Verhör mit ihm?«
»Klar.« Smolski nickte. »Kann ich machen. Warum willst du nicht dabei sein?«
Hoogens vertraute dem Polen genug, um vollkommen
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