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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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ich Ihnen etwas sage, was Sie so oft zu mir gesagt haben: Verzweifeln Sie nicht an Dingen, die sich nicht mehr ändern lassen.« Sie holte tief Luft, ehe sie das Mantra abwandelte, das der erste Schritt auf ihrem langen Weg aus dem tiefen Tal ihrer Angst gewesen war. »Ihre Schuld gehört zu Ihnen, aber Sie sind nicht Ihre Schuld.«

137
     
    Er hatte sie nicht vergessen. Er war wieder da.
    Diesmal musste sie vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Es hatte ihn nicht daran gehindert, sie umzuziehen. Sie hob den Kopf an. Sie sah dünnen grünen Stoff, der ihr bis zu den Hüften reichte. Als sie erkannte, in was er sie gehüllt hatte, bäumte sie sich auf. »Nein! Nein!«, jammerte sie. »Bitte nicht!«
    Die Liege ruckte hin und her, aber die Lederriemen gaben keinen Millimeter nach.
    »Nein«, brüllte sie und malträtierte ihre geschundene Kehle weiter. »Nein!«
    Das lief alles falsch. Sie hatte doch ihren Plan. »Wasser!«, bettelte sie. »Wasser!«
    »Später, später«, murmelte er. »Erst, wenn ich fertig bin.« Er ging zum Fußende der Liege und stellte einen blauen Müllsack daneben ab. Er griff hinein und holte eine Rolle schwarzes Klebeband daraus hervor.
    »Nein«, brüllte sie wieder. »Wasser! Bitte! Wasser!«
    »Das geht nicht«, sagte er sanft. »Ich weiß, was du meinst, aber das Wasser ist nicht gut für die Operation.« Er machte einen Schritt auf ihren Kopf zu. »Gefällt dir dein Leibchen?«
    Sie schrie. Er riss ein breites Stück Klebeband ab. »Stillhalten!«
    Er fasste sie unter dem Kinn und drückte ihren Kopf gegen die Liege. Sie wollte den Mund aufsperren, doch er war zu stark. So mühelos, als würde er eine Schublade zuschieben, schloss er ihr den Mund. Er versiegelte ihn mit dem Klebeband, das er penibel glatt strich. »So. Viel besser.«
    Tränen liefen ihr übers Gesicht, und ihr Hunger, den selbst ihre Panik nicht zu dämpfen vermochte, klagte darüber, dass sie sich das salzige Nass nicht von den Wangen lecken konnte.
    Er kehrte ans andere Ende der Liege zurück und kniete sich hin. Mit einem fingerdicken Schlauch, den er ebenfalls aus dem Müllsack holte, band er ihr den linken Fuß knapp oberhalb des Knöchels ab.
    Sie schluchzte. Ein Kribbeln kroch ihr langsam von der Sohle bis in die Zehenspitzen. An seinem Ziel angekommen, erstarb es.
    Den nächsten Gegenstand aus dem Sack konnte sie nicht erkennen, denn er war zu klein. Sie hörte ein Zischen, und feiner weißer Nebel hüllte ihren Fuß ein.
    Die Tröpfchen waren eiskalt. Er sprühte die ganze Dose leer.
    Sie wimmerte. Er kniff ihr in den kleinen Zeh. Sie spürte nur den Druck, keinen Schmerz.
    »Tut das weh?«, fragte er besorgt.
    Sie nickte verzweifelt.
    Er machte zum ersten Mal ein betroffenes Gesicht. »Indianer kennen keinen Schmerz, hat mein Vater immer gesagt.«
    Wieder wühlte er in dem Müllsack. Was er daraus zutage förderte, versetzte sie in solches Grauen, dass sie wieder und wieder mit dem Hinterkopf gegen die Liege schlug. Sie versuchte, sich aufzubäumen, und drückte die Fingernägel in die Handballen.
    »Gleich vorbei, gleich vorbei«, flüsterte er, als er die Rosenschere an ihrem Zeh ansetzte. Sie hörte ein Geräusch wie von einem brechenden Zweig und stürzte in ein gnädiges Dunkel.

138
     
    Jule plante ihre voraussichtlich letzte Fahrt nach Odisworth wie einen Feldzug. Sie stand früh auf und ging einkaufen, um den leeren Kühlschrank zu füllen. Danach bereitete sie sich ein reichhaltiges spätes Frühstück zu: Rührei, Tomate mit Mozzarella, Kürbiskernbrötchen, eine Schale Schokomüsli.
    Erst anschließend stellte sie sich eine halbe Stunde unter die Dusche und rasierte sich die Beine und die Achseln. Nur in Unterwäsche verbrachte sie einige Minuten vor ihrem Kleiderschrank damit, genau auszuwählen, was sie zu diesem Termin tragen würde. Sie entschied sich für einen stahlgrauen Blazer, schwarze Hosen mit einer messerscharfen Bügelfalte und eine weiße Bluse, deren Kragen spitz zulief. Sie komplettierte ihr Outfit mit einem schmalen schwarzen Gürtel, den sie vor Ewigkeiten aus einer Laune heraus gekauft, aber noch nie getragen hatte, weil die breite Schnalle aus glänzendem Chrom ihr immer ein wenig zu protzig vorgekommen war.
    Nachdem sie das Ensemble auf ihrem Bett ausgebreitet hatte, ging sie ins Bad. Vor dem Anlegen der Rüstung stand das Anlegen der Kriegsbemalung. Sie sah sich gezwungen, zu improvisieren. Ihr Kosmetiktäschchen lag auf dem Regal über dem Waschbecken in ihrem Pensionszimmer

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