Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
Vom Netzwerk:
sie ihren Kopf zur Seite und lugte durch das geöffnete Beifahrerfenster. Gabriel Smolskis lange Zähne blitzten in einem breiten Grinsen auf. »Nichts für ungut, ja?«, sagte er.
    »Sie haben bloß Ihre Arbeit gemacht«, gab Jule ruhig zurück, als hätte sie in Gedanken nicht gerade einen ihrer schlimmsten Albträume durchlebt.
    »Ich kann Sie mitnehmen«, bot Smolski ihr an. »Zur Wiedergutmachung. Wohin müssen Sie?«
    Jule spürte, wie ihr eine plötzliche Kälte den Rücken hinunterkroch und ihr Herz schneller zu schlagen begann. Sie ließ den Griff des Köfferchens los und drehte den Ring um ihren Finger. Einmal, zweimal. Es war eine Sache, sich bei Klaus in den Wagen zu setzen. Sie kannte Klaus, und er war ein mehr oder minder vorsichtiger Fahrer. Smolski war sie vor einer halben Stunde zum ersten Mal begegnet, und sein Wendemanöver hatte nicht den Eindruck vermittelt, als würde er auf eine gesunde Zurückhaltung im Straßenverkehr viel Wert legen.
    »Was ist los?«, hakte Smolski nach. »Hat Ihnen Ihre Mama beigebracht, nicht zu fremden Männern ins Auto zu steigen? Keine Sorge, ich bin Polizist.«
    »Danke für das Angebot«, sagte Jule und zwang sich, wieder nach dem Koffer zu fassen. Es war ein gut gemeintes Angebot, aber sie hatte nicht vor, einem Wildfremden näher zu erklären, weshalb sie es ausschlagen musste. »Ich laufe lieber. Bewegung tut mir gut.«
    Der Fensterheber surrte wieder. Das Licht der Scheinwerfer verglomm. Smolski stieg aus und kam lässig auf sie zugeschlendert. »Na schön.« Er langte nach dem Koffergriff, und seine und Jules Finger ruhten einen kurzen Moment aufeinander, bevor Jule überrascht die Hand zurückzog.
    »Darf ich?«, fragte er.
    Sie nickte verwirrt.
    »Dann mal los«, sagte Smolski und wies die Straße hinunter. »Sie sagen, wo es hingeht.«
    »Tun Sie das nur, weil Sie mir meine Präsentation vermasselt haben?«, fragte Jule, aber sie setzte sich trotzdem in Bewegung. Wenn er so darauf pochte, ihren Koffer zu ziehen, bitte sehr.
    »Unter anderem«, sagte Smolski. »Außerdem helfe ich gern Bürgerinnen in Not. Berufsehre, verstehen Sie?«
    Sie schaute schnell nach unten, um ihr Lächeln vor ihm zu verbergen. Seine Statur und seine unkomplizierte Art erinnerten sie an den Trainer ihrer Hockeymannschaft, in den sie sich mit vierzehn unsterblich verliebt hatte. Sie hatte ein Faible für Männer, die wussten, was sie wollten. Smolski mochte so ein Typ sein. Vielleicht würde sie noch Gelegenheit haben, das rauszufinden. Aus der Brusttasche seines Parkas zog er ein völlig verkrumpeltes Päckchen Zigaretten hervor. »Möchten Sie auch eine?«
    »Nein, danke. Ich rauche nicht.«
    Er gab ein enttäuschtes Brummen von sich. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, fragte er im Ton des überzeugten Rauchers: »Sind Sie etwa eine von den langweiligen Personen, die gar keine Laster haben?«
    Jule zögerte. Nicht, weil sie sich durch diese provokante Unterstellung beleidigt fühlte. Ihr fiel etwas ein, was ihr gestern Abend noch reichlich albern vorgekommen war: die Tarotkarte mit den Liebenden, die ihr Caro zufolge neues Glück in Sachen Romantik verhieß. Und jetzt lief ihr dieser Kommissar über den Weg, der unmissverständlich großes Interesse an ihr zeigte. Zufall? Wahrscheinlich, aber das war kein Hindernis, diese günstige Gelegenheit für einen unverfänglichen Flirt nicht beim Schopf zu packen. »Keine Laster? So etwas kann mich auch nur jemand fragen, der mich nicht kennt«, meinte sie. »Oder jemand, der prinzipiell über wenig Menschenkenntnis verfügt.«
    Smolski sog Luft durch die Zähne. » Autsch . Sie müssen mir verzeihen. Ich bin momentan ein wenig abgelenkt. Ich bin ja nicht in erster Linie hier, um ein paar nette Spaziergänge durchs malerische Odisworth zu machen.«
    »Haben Sie denn schon – wie sagt man – sachdienliche Hinweise erhalten?«
    »Nein.« Smolski seufzte leise. »So läuft das hier auch nicht. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass eine ganze Menge dieser braven Leutchen, die da vorhin um mich herumgewuselt sind, die eine oder andere spannende Sache über ihre Nachbarn zu berichten hat. Und wer weiß. Vielleicht steht davon sogar irgendetwas mit diesem Fall in Verbindung. Aber sich offen und vor allen anderen gegenüber einem Bullen wie mir – und einem Fremden noch dazu – zu äußern? Nein, das können Sie vergessen. Hier will niemand unangenehm auffallen. Ich gehe eher davon aus, dass ich in den nächsten Tagen viele

Weitere Kostenlose Bücher