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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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an Jules Pflichtbewusstsein. Sie musste dringend noch ihre E-Mails abrufen und ihren Chef über den unvorhergesehenen Stolperstein in Kenntnis setzen. »Haben Sie W-LAN auf den Zimmern?«
    Jepsen sah sie ausdruckslos an.
    Jule versuchte es anders. »Internet?«
    »Das macht alles meine Frau.« Jepsen hob die Arme. Er schien sich in der Rolle des Unwissenden nicht allzu unwohl zu fühlen. »Aber die ist nicht da. Die ist in der Schule. Ich hab mit dem Kram nichts zu tun.« Er wich einen Schritt zurück, um Jule an der Rundung seines Bauchs vorbei einen Blick auf den hinteren Teil des Flurs zu gestatten. Dort war zwischen zwei Türen ein improvisierter Schreibtisch aus zwei Böcken und einer Pressspanplatte eingepfercht, auf dem ein alter Röhrenmonitor stand.
    »Das ist unser Rechner«, sagte Jepsen. »Wir haben auch Internet. Aber ich kenn das Passwort nicht. Ich brauch das nie.« Er ging mit schweren Schritten zum Schreibtisch und wühlte umständlich in den darauf verstreuten Papieren. »Sie hat es hier bestimmt irgendwo auf einen Zettel geschrieben.«
    »Schon gut«, sagte Jule. Ihr Anfall von Diensteifer war verflogen. So, wie sie die Lage einschätzte, hätte sie sich wahrscheinlich ohnehin nur über die kriechend langsame Verbindung geärgert. Es war vermutlich klüger, morgen vor der Sitzung im Rathaus nach einem Internetzugang zu fragen. Sie wusste, dass der UMTS-Stick, der einen den Verheißungen des Anbieters zufolge so gut wie überall in Deutschland zuverlässig mit dem Rest der Welt verband, hier in Odisworth kläglich versagte. Das hatte in einem der Memos von Andreas gestanden. »Machen Sie sich meinetwegen bitte keine Umstände. Ich kläre das morgen mit Ihrer Frau.«
    Jepsen brummelte etwas, das sich mit viel gutem Willen als »Gute Nacht« interpretieren ließ, und trat durch eine der beiden Türen, die vom Flur abgingen.
    Jule stieg die Treppen hinauf und fand ihren Koffer vor ihrer Zimmertür, so wie Smolski es ihr versprochen hatte. Ihr Zimmer war klein, aber gemütlich, auf dem Kopfkissen lag ein Mini-Snickers, auf dem Nachttisch ein Ring mit zwei Schlüsseln daran – für Zimmer- und Haustür. Auch wenn sie vielleicht nur eine Nacht hier verbrachte, begann sie, den überschaubaren Inhalt ihres Koffers in den Kleiderschrank einzusortieren. Nachdem sie fertig war, holte sie erst ein Paar Socken und Unterwäsche, dann eine Hose und ein Oberteil wieder aus dem Schrank hervor und legte alles auf dem gepolsterten Stuhl neben dem Bett für den kommenden Morgen zurecht. Natürlich war ihr Vorgehen ein wenig seltsam, das wusste Jule. Doch so war das nun mal, wenn sie ihr Leben im Griff behalten wollte.
    Als es ans Abschminken ging, stellte sie sich vor das kleine Waschbecken in der Ecke. Die Keramik um den Ausguss herum war zwar rissig, aber penibel sauber. Nachdem sie Make-up und Lidschatten losgeworden war, musste sie heftig gähnen. Sie war erschöpfter, als sie gedacht hatte. Sie hatte allerdings auch allen Grund dazu. Nicht unbedingt wegen der Präsentation. Eher wegen der ersten Autofahrt seit vielen Jahren, die offensichtlich an ihren Kräften gezehrt und die sie dennoch mit Bravour gemeistert hatte – mit Ausnahme des Beinahe-Zusammenstoßes mit dem Mann auf dem Waldweg.
    Sie saß auf der Toilette – das Bad hatte sie am Gang hinter der einzigen Tür gefunden, auf der keine kleine Ziffer aus Messing angebracht war –, als ihr schlagartig bewusst wurde, wen sie da unter Umständen um ein Haar überfahren hatte: den Mörder der Frau, die ausgesehen hatte wie sie selbst. Diese Erkenntnis brachte ihr Herz dazu, einen Schlag auszusetzen. Wegen all des Durcheinanders um den Leichenfund und den Flirt mit Smolski war der merkwürdige Zwischenfall in dem Wäldchen eine Weile in den Hintergrund ihres Denkens getreten. Jetzt tauchten vor Jules innerem Auge die schrecklichsten Bilder und Szenarien auf. Wieder und wieder malte sie sich aus, was alles hätte passieren können, wenn sie die dunkle Gestalt tatsächlich erwischt hätte. Sie hätte den Mann einfach umfahren und da liegen lassen können. Dann hätte sie sich auf ewig Vorwürfe gemacht, in ihrem Leben gleich zwei Menschen getötet zu haben, ohne zu wissen, dass einer davon möglicherweise ein brutaler Mörder gewesen war. Es hätte aber auch anders kommen können: Der Mann hätte nach einem Zusammenstoß eine Verletzung nur vortäuschen können, damit sie ihn zu sich ins Auto holte, wo er dann auf den günstigsten Augenblick gewartet

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