Der Wind bringt den Tod
hätte, um über sie herzufallen. Sie versuchte, den Gedanken zur Seite zu schieben, und musste an das ausgebrannte Gehöft denken, dessen Scheunentor vom einen auf den anderen Wimpernschlag geschlossen war. War er das gewesen? War diese Ruine vielleicht sein geheimer Unterschlupf, von dem aus er sich auf seine bestialischen Raubzüge machte? Sie musste Smolski davon erzählen. Smolski. Er gab ihr einige Rätsel bezüglich seiner Absichten mit ihr auf. Trotzdem war sie froh darüber, ihn getroffen zu haben. Dank ihm kam sie sich nicht so vor, als wäre sie völlig allein unter eine verschworene Dorfgemeinschaft geraten, unter Menschen, die einen Mörder schützten, wenn er nur einer von ihnen war.
Über dem Gedanken an Smolski war Jule ruhiger geworden und hatte ihre überbordende Fantasie wieder einigermaßen im Zaum. Zurück in ihrem Zimmer fühlte sie sich ganz heimelig, was nicht zuletzt an den dünnen Wänden lag, durch die sie Smolskis dunkle Stimme hören konnte. Offenbar ein langes Telefonat. Worüber machte sie sich überhaupt solche Sorgen? Wer war vor einem Mörder sicherer als sie, die nur einen schrillen Schrei von einem ausgebildeten Kommissar entfernt schlafen würde.
Und dennoch war ihr letzter Gedanke, bevor sie auf der durchgelegenen Matratze in einen traumlosen Schlaf fiel, nicht schön: Sie hatte Smolski nicht einmal ihren Namen gesagt. Was, wenn er morgen früh schon wieder weg war, bevor sie aufstand?
21
Er war überglücklich. Sie war wieder da. Er hatte sie sofort wiedererkannt. Wie hätte es auch anders sein können? Sie war schließlich die Einzige, die ihn jemals richtig verstanden hatte.
Und sie hatte ihr Versprechen gehalten. Sie hatte nie irgendjemandem etwas erzählt. Nicht von ihren Spielen, und auch nicht vom großen Geheimnis. Und jetzt, jetzt war sie zu ihm zurückgekommen. Das war wunderschön.
Natürlich hatte es in der Zwischenzeit ein paar andere gegeben, aber sie hatten nie verstanden, worum es wirklich ging. Sie hatten ihm zwar auch versprochen, was er hören wollte, aber er konnte ihnen nicht vertrauen. Sie kannten ihn doch gar nicht, und er kannte sie nicht.
Hinterher tat es ihm immer leid. Dann schwor er sich jedes Mal, dass er das Spiel nie wieder spielen würde. Mit niemandem. Bis jetzt hatte er diesen Schwur jedes Mal wieder gebrochen. Es war nicht seine Schuld. Niemand hatte Schuld. Das hatte sie ihm jedenfalls immer gesagt. Und sie würde es ihm wieder sagen, ganz bestimmt.
Erst hatte er gedacht, er hätte sie umgehend wieder verloren. Dann hatte er das Auto wiedergefunden, in dem sie zu ihm zurückgekommen war. Vor der Schule. Er hatte ihr Auto gleich erkannt. Am liebsten hätte er dort auf sie gewartet, aber das ging nicht.
Er würde darauf vertrauen müssen, dass sie von sich aus zu ihm kam. Er hatte keine andere Wahl, denn die anderen durften sie nicht zusammen sehen. Aber sie würde kommen. Das wusste er. Sie gehörten doch zusammen. Für immer. Für immer und ewig.
22
Jules Sorge, Smolski könnte bereits am nächsten Morgen sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwunden sein, erwies sich als unbegründet. Sie verpasste ihn nicht – trotz ihrer umfangreichen Rituale, die mit dem Aufstehen verbunden waren, und obwohl sie sich erst noch die Zeit genommen hatte, auf ihrem Laptop die von Andreas hinterlassenen Notizen zu ihrem bevorstehenden Treffen mit dem Odisworther Gemeinderat zu überfliegen. Sie wollte wenigstens eine lose Strategie für die bevorstehenden Verhandlungen austüfteln.
Sämtliche strategischen Überlegungen waren allerdings vergessen, als sie den Frühstücksraum der Pension Jepsen betrat. Der Weg dorthin war ganz leicht aufzuspüren gewesen: Sie war einfach dem Geruch von Rührei mit Speck hinunter ins Erdgeschoss gefolgt. Smolski saß am einzigen großen Tisch und ließ sich durch eine breite Fensterzeile nebst Glastür, die hinaus auf eine Terrasse führte, die Morgensonne in den Nacken scheinen. Er blätterte sichtlich gelangweilt in einer Zeitung und kaute auf einem dick mit Rührei belegten Körnerbrötchen. »Guten Morgen«, nuschelte er mit vollem Mund und nickte ihr freundlich zu.
Jule hatte noch zwei Dinge bei ihm nachzuholen. Also setzte sie sich ihm gegenüber und sagte: »Ich heiße übrigens –«
»Jule Schwarz, ich weiß«, unterbrach er sie und brachte sie damit ein paar Sekunden aus dem Konzept. »Ich habe den Bürgermeister gefragt.« Er grinste. »Ich musste doch wissen, wer die Frau ist, der ich den
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