Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
Vom Netzwerk:
machen einen Denkfehler.« Es lag kein Vorwurf in Smolskis Stimme, eher sanftes Mitgefühl. »Sie gehen davon aus, dass das Opfer irgendwann gestern umgebracht worden ist. Wahrscheinlich, weil da äußerlich gewisse Ähnlichkeiten zwischen dieser Frau und Ihnen bestehen. Das ist durchaus nachvollziehbar.« Fast rechnete Jule damit, dass er gleich quer über den Tisch nach ihrer Hand greifen würde, doch stattdessen begann er, seine Zeitung zusammenzufalten. »Aber dieser Mord liegt schon länger zurück. Dem Zustand der Leiche nach grob geschätzt ein paar Monate. Der Verwesungsprozess ist weit fortgeschritten. Es wird mindestens ein paar Tage dauern, die Tote zu identifizieren, unter Umständen länger. Was auch nicht gerade hilft, ist, dass sich in der Zwischenzeit jede Menge Getier über die Leiche hergemacht hat.« Er schaute auf Jules unberührten Teller und das Brotkörbchen. »Entschuldigen Sie bitte. Auch eine Berufskrankheit. Mit der Zeit härtet man einfach zu sehr ab.«
    »Ich habe sowieso nicht viel Hunger«, versicherte sie ihm. Falls sie vorher tatsächlich welchen gehabt hätte, hätte sie nun wirklich keinen Bissen mehr herunterbekommen, aber das brauchte sie ihm nicht zu sagen. Trotz der Morgensonne fröstelte es sie, als sie darüber nachdachte, wie aus einer jungen Frau Futter für die Aasfresser geworden war. Sie verfluchte ihr eigenes gutes Gedächtnis. Ausgerechnet in diesem Augenblick musste es ihr die vielen Tierdokumentationen in Erinnerung rufen, die sie gesehen hatte und in denen der Sprecher mit neutraler Stimme davon berichtet hatte, dass die meisten fleischfressenden Tiere sich zuerst über die weichsten Teile eines Kadavers hermachten. »Mir reicht heute Morgen mein Kaffee.«
    »Glück gehabt«, sagte Smolski. »Also noch mal: Wer immer Ihnen da vor die Scheinwerfer gehüpft ist, war mit ziemlicher Sicherheit nicht der Mörder. Wie gesagt, eher einer von uns oder auch einfach ein Spaziergänger. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber.«
    Jule drehte einen Moment lang an ihrem Ring, während sie versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Sie brachte gern Ursache und Wirkung in einen einfachen kausalen Zusammenhang. »Wenn die Frau schon vor einiger Zeit ermordet und in diesem Wald versteckt wurde, wie haben Sie dann ihre Leiche gefunden?«
    »Ein anonymer Hinweis. Es gab einen Anruf, dem meine Kollegen von der hiesigen Schutzpolizei nachgegangen sind.« Er strich die sauber gefaltete Zeitung glatt und platzierte sie neben seinem Teller. »Die dachten anfangs noch an einen schlechten Scherz. So kann man sich täuschen.«
    »Dürfen Sie mir das eigentlich alles erzählen?«, wunderte sich Jule über so viel Offenheit. »Gefährden Sie damit nicht die laufenden Ermittlungen?«
    Smolski schmunzelte. »Ich kann Sie beruhigen. Ich offenbare Ihnen hier gerade keine großen Geheimnisse.« Er tippte auf die Zeitung. »Alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, können Sie auch in der Zeitung lesen. Oder im Internet, falls Frau Jepsen Ihnen das Passwort verrät.«
    Jule kam nicht mehr dazu, sich zu vergewissern, ob sie ihn mit ihrer letzten Frage vor den Kopf gestoßen hatte. Ihr Smartphone klingelte. »Schwarz.«
    »Der Göttin sei Dank!«, hörte sie Caro am anderen Ende der Verbindung aufatmen. »Ich dachte, du wärst tot!«
    Jule stand auf, wandte sich halb von Smolski ab und sagte mit gesenkter Stimme: »Du, ich habe gerade echt keine Zeit.«
    »Wag es bloß nicht aufzulegen«, warnte sie Caro. »Schlimm genug, dass du dich gestern nicht mehr bei mir gemeldet hast, um mir zu sagen, wie es mit dem Autofahren gelaufen ist.«
    »Ich bin früh ins Bett«, verteidigte sich Jule. Sie huschte eilig zur Terrassentür, öffnete sie, schlüpfte hindurch und zog sie halb hinter sich zu. Caro jetzt ohne Erklärung abzuwürgen, wäre ein sicherer Weg gewesen, um sie tödlich zu beleidigen. »Im Ernst, Caro«, sprach sie ein bisschen lauter weiter. »Das Fahren lief super. Aber wie kommst du drauf, dass ich tot sein könnte?«
    »Weil sie im Radio durchgegeben haben, dass man in dem Kaff, in dem du steckst, die Leiche einer jungen blonden Frau gefunden hat.«
    »Haben sie auch durchgegeben, dass die Frau schon länger tot ist?«
    »Ist das so?«
    Jule seufzte. Bisweilen hatte ihre beste Freundin eine bejammernswert kurze Aufmerksamkeitsspanne. »Ja, das ist so. Das musst du nur überhört haben.«
    »Oh.« Es folgten einige Sekunden Schweigen, aber Caro war offenbar in bester Laune, ihr weiter

Weitere Kostenlose Bücher