Der Wind der Erinnerung
Sitzkissen für den Boden genäht. In der Stadt hatte sie einen gebrauchten Teppich gekauft. Während sie auf der Fensterbank saß, um die letzten Sonnenstrahlen auszunützen, und die Bücher durchging, reinigte Mikhail den Kamin. Daneben hatte er fein säuberlich das Brennholz aufgestapelt, das er an diesem Tag gehackt hatte. Beattie freute sich sehr auf die Wärme und das Licht des Kaminfeuers und hoffte, dass Charlie sich zu ihnen gesellen würde. Sie verstand nicht, weshalb er nicht mehr Zeit im Haus verbringen wollte. Sie hatte selbst im Schererhäuschen gewohnt und wusste, wie kalt und ungemütlich es dort war. Er arbeitete so schwer und hätte ein bisschen Bequemlichkeit verdient.
Außerdem würde auch sie gerne mehr Zeit mit ihm verbringen.
Dieses Gefühl war allmählich gewachsen. Wenn sie draußen zusammenarbeiteten, blieb keine Zeit für Unterhaltungen. Sie waren oft an den entgegengesetzten Enden einer Weide oder den Ufern eines schlammigen Grabens beschäftigt und riefen einander Anweisungen über das Hundegebell und das Blöken der Schafe hinweg zu. Seine Anwesenheit aber war tröstlich. Je vertrauter sie miteinander wurden, desto mehr sehnte sie sich danach, ihn besser zu kennen und zu erfahren, was in seinem Kopf und in seinem Herzen vorging, ihn irgendwie näher an sich zu ziehen. Er war geduldig und freundlich, fleißig und stark … Er hatte so viele bewundernswerte Eigenschaften. Vielleicht bewunderte sie ihn ein bisschen zu sehr.
»Na bitte. Bin fertig«, sagte Mikhail und stand mit Eimer und Bürste in der Hand auf. Gesicht und Hände waren rußverschmiert.
»Können wir heute Abend ein Feuer anzünden?«
Er zuckte mit den Schultern. »Hoffentlich. Wenn Rauch im Zimmer ist, müssen wir noch mal versuchen.«
Beattie lachte. »Mach dich sauber. Und vielen Dank.«
Er neigte den Kopf zur Seite und zuckte zusammen. »Habe sehr steifen Hals. Bin zu alt für solche Sachen«, scherzte er. Er hinkte aus dem Zimmer, wie er es tat, seit er sich vor einer Woche ein Stück alten Zaundraht in den Fuß gebohrt hatte.
Beattie betrachtete den Kamin. Es war erst Nachmittag, noch nicht kalt genug für ein Feuer. Andererseits musste sie den Rauchfang ausprobieren … Lächelnd stapelte sie das Feuerholz, legte Kienspäne dazu und zündete es an. In der nächsten Viertelstunde stocherte sie im Feuer und sorgte dafür, dass das Haus nicht eingeräuchert wurde. Dann legte sie ein Kissen auf den Boden, setzte sich darauf und schaute in die Flammen.
Ihr Herz beruhigte sich ein wenig. Ja, über den Winter würde das Geld knapp werden, doch dann folgte die Schafschur. Sie hatte so geschickt gehaushaltet, dass es ihnen bestens gehen würde, sowie das Geld hereinkam. Dann könnte sie Mikhail und Charlie bezahlen, ihre Zinsen abtragen und sogar einige Möbel kaufen. Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie dieses Zimmer im nächsten Jahr aussehen würde. Mit einem Sofa, einem Beistelltisch, einer Lampe … Sie könnte auch Telefon und Strom wieder anschließen lassen; Raphael hatte so viel Geld für die Verlegung der Leitungen ausgegeben, die jetzt nicht benutzt wurden. Oben würde es ein Zimmer für Lucy geben. Sie würde das Mädchen in ihrem Bett vermissen, aber sie war viel zu groß, um noch bei ihr zu schlafen. Beattie hatte es nicht eilig mit der Renovierung der Zimmer. Sie richtete lieber nur die ein, die sie wirklich brauchte. Im Winter hätte sie Zeit zum Nähen, hier am Kamin. Ja, wenn das Geld hereinkäme, könnte sie sogar eine elektrische Nähmaschine kaufen.
Sie wärmte sich an ihren Phantasien, während der Nachmittag dunkler wurde. Draußen hörte sie Charlie, der in den Stall ging und seine Hunde rief, und dachte ans Abendessen. Sie ging in den Flur und klopfte leise an Mikhails Tür.
»Komm rein!«
Sie öffnete die Tür. Er lag steif auf der Bettdecke und schien Schmerzen zu haben.
»Ich wollte Essen machen.«
»Für mich nicht. Geht nicht gut.«
Sie sah ihn besorgt an. »Wieso nicht gut? Ist es dein steifer Hals?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich glaube, habe Fieber.«
Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie war warm, aber nicht heiß. »Dann ruh dich aus. Charlie und ich essen allein.«
Doch Charlie sagte, es lohne sich nicht, für zwei Leute richtig zu kochen. Er aß nur Brot und Honig und kehrte ins Schererhäuschen zurück. Beattie setzte sich wieder ans Feuer und nutzte das Licht für eine Kreuzsticharbeit. Sie blieb noch stundenlang auf,
Weitere Kostenlose Bücher