Der Wind der Erinnerung
schaffen?«
Beattie schnaubte. »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«
Seine dunklen Augen blickten ernst. »Ja, Missus, das glaube ich auch.«
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Zwanzig
S ie übte jeden Tag und gewöhnte sich allmählich an das Reiten. Die Tage waren lang, die neuen Schafe lebten sich ein und sammelten sich, wenn es nachmittags am heißesten war, im Schatten der Bäume. Am letzten Februartag ritt sie mit Charlie zum ersten Mal los, um die Tiere von einer Weide auf die andere zu treiben. In Wahrheit waren die Hunde nützlicher als sie selbst, doch Charlie beschwerte sich nicht. Abends taten ihre Beine weh, und die Handgelenke waren rosa verbrannt, wo sich die Sonne zwischen Handschuhe und Ärmel gestohlen hatte. Dennoch hatte sie schon lange nicht mehr so gut geschlafen.
Charlie und Mikhail waren ihre Felsen in der Brandung. Mikhail kümmerte sich um das Haus, Charlie verwaltete die Farm, und Beattie versuchte sich an der Büroarbeit. Sie gaben fast nichts aus, sondern ernährten sich aus dem Garten und zwangen sich, die Eier statt der Hühner zu essen. Einmal alle vierzehn Tage ging sie zu Fuß in die Stadt, um Haferschrot, Honig, Milch, Seife und Mehl zu kaufen. Sie genoss den Spaziergang, weil sie Zeit zum Nachdenken und Entspannen hatte. Die tägliche Arbeit nahm sie so sehr in Anspruch, dass sie oft gar nicht mehr in Ruhe überlegen konnte.
Der Kolonialwarenladen hatte neue Besitzer, was Beattie hoffnungsvoll stimmte. Sie hörte nie auf den Klatsch in der Stadt, obwohl sie vermutete, dass er sich gleichmäßig zwischen der Tatsache, dass sie Wildflower Hill gekauft hatte, und den düsteren und doch begeisterten Spekulationen über einen Krieg in Europa aufteilte. Dann aber hörte sie zwei ältere Frauen, die ihre Missbilligung über die junge Frau ausdrückten, die den Laden betrieb.
»Zu jung und zu ehrgeizig«, sagte die eine.
»Kommandiert ihren Mann herum«, erwiderte die andere.
Beattie träumte von einer Verbündeten. Hinter dem langen Glasschrank, der als Theke diente, stand eine kleine, rundliche Frau mit blonden Locken. Sie lächelte, als Beattie hereinkam. Beattie erwiderte die Begrüßung. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte jemand aus der Stadt ihr zugelächelt.
»Hallo, ich bin Tilly. Herzlich willkommen.«
»Ich bin Beattie Blaxland von Wildflower Hill.«
»Sie sind Schottin. Dieser Akzent …«
»Ja.«
»Meine Mutter war auch Schottin. Ich bin aber bei meinen Tanten in Südafrika aufgewachsen.«
»Und was hat Sie hierher verschlagen?«
Tilly lachte. »Das Gleiche könnte ich Sie fragen. Ich habe einen Australier geheiratet.«
Sie plauderten kurz miteinander, während Beattie ihre Einkäufe auswählte und die Pennys abzählte, als wären es Diamanten. Tilly stellte ein paar Fragen über die Farm, wie weit entfernt und wie groß sie sei, und bedauerte Beattie, weil sie arbeiten und sich um den Haushalt kümmern musste.
»Ich glaube, unsere Ehemänner erwarten zu viel von uns«, lachte Tilly, als sie eine Dose Milchpulver einpackte.
»Eigentlich bin ich jetzt allein.«
»Das tut mir leid. Ist Ihr Mann gestorben?«
»Er … es hat nicht funktioniert.« Sie wurde rot.
Tilly lächelte nicht mehr ganz so herzlich. »Das ist Pech. Es muss schwer für Sie sein so allein. Da bedauere ich Sie.«
Beattie griff nach diesem Bröckchen Mitgefühl, dem einzigen, das man ihr in der Stadt je entgegengebracht hatte. »Es ist sehr, sehr schwer. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.«
Plötzlich glitt ein rotgesichtiger Mann mit öligem Haar, der Mitte dreißig sein mochte, aus dem Lagerraum wie eine Eidechse, die hinter einem Felsen hervorschießt. Er musterte Beattie mit kaltem Blick.
»Da ist er ja«, sagte Tilly lachend. »Frank, das ist Beattie.«
Er nickte knapp. Beattie bemerkte, dass Tilly ängstlich geworden war; die Vorstellung, sie kommandiere ihren Mann herum, war absolut lächerlich. Es war nur der eifersüchtige Tratsch älterer, gelangweilter Frauen.
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte Beattie und griff nach ihren Paketen. »Ich muss jetzt los.«
Sie stieß die Tür auf und prallte dabei fast mit Margaret Day zusammen, die gerade hereinkam. Sie hatte Margaret nicht mehr gesehen, seit diese sie vor Monaten aus dem Haus gewiesen hatte.
»Hallo, Margaret«, sagte sie, ermutigt durch das nette Gespräch mit Tilly.
Diese blickte sie jedoch nur eisig an und stürmte an ihr vorbei. Die Ladentür fiel zu, und Beattie blieb desillusioniert vor dem Geschäft stehen. Sie warf einen
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