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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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war, als werde sie Zeugin eines magischen Vorgangs, eines heiligen und tiefgründigen Rituals. Während Charlie weitersang, setzte sie sich auf den Boden, lehnte den Rücken an die Wand und legte den Kopf auf die Knie. So wartete sie auf ihn.
    Etwa eine halbe Stunde später tauchte Charlie wieder auf, den Halter mit der niedergebrannten Kerze in der Hand, und setzte sich neben sie.
    »Charlie? Was für ein schönes Lied war das gerade?«
    »Meine Mutter hat es gesungen, wenn ich krank war. Ocker und Teebaum ist eines ihrer alten Heilmittel gegen Entzündungen. Er hat sich beruhigt. Ich glaube, die Pillen helfen. Sein Körper ist ein bisschen weicher geworden.« Er zog die langen Beine an und schlang die Arme um die Knie. »Warum wollte der Arzt nicht kommen?«
    »Er hat gesagt, er kommt morgen früh.« Wieder kämpfte sie mit den Tränen. »Seine Frau hat Mikhail als Roten bezeichnet.«
    »Ah. Ihr Pech. Mikhail ist ein guter Mensch.«
    »Der beste.«
    Pause. »Und was hat sie über mich gesagt?«
    »Nichts«, log Beattie.
    Charlies Lippen zuckten, als wollte er lachen. »Sicher doch. Sie ist ja auch so zurückhaltend.«
    Nun musste sie lachen, wurde aber rasch wieder ernst. »Charlie, bist du es niemals leid, dass die Leute so schlecht über dich denken?«
    »Solange Sie nicht schlecht über mich denken«, erwiderte er schlicht.
    »Nein.« Ihre Kehle wurde eng. Es war, als hätte sie etwas gesagt, das sie nicht sagen sollte. »Nein, das tue ich nicht. Ganz im Gegenteil.«
    »Ich habe schlimmere Probleme als die Meinung von Doc Malcolms Frau.« Er nickte ihr zu. »Genau wie Sie.«
    Beattie lehnte den Kopf an die Wand. »Das ist wohl wahr.« Sie sah ihn unauffällig an und dachte an seine sanfte, melodische Stimme und die ruhigen, geschickten Hände. »Ich weiß nichts über dein Leben, Charlie.«
    »Da gibt es nicht viel zu wissen, Missus.«
    »Wirst du mich denn niemals Beattie nennen?«
    Er spreizte die Hände. »Das wäre nicht recht.«
    »Es würde mir aber gefallen.«
    »Sie würden es bereuen. Wenn jemand in der Stadt es hörte, würden Sie es ganz bestimmt bereuen.«
    »Das würde ich nicht. Ich schäme mich nicht, dich als meinen Freund zu bezeichnen. Ohne dich und Mikhail hätte ich niemals so lange durchgehalten. Und ich wäre stolz, es den Leuten zu sagen.« Sie hatte so heftig gesprochen, dass sie verlegen wurde.
    Charlie sah ihr beim Kerzenschein in die Augen. Es war, als wollte er etwas sagen, doch dann wandte er sich ab. Etwas regte sich in ihr, das sie seit vielen Jahren nicht gespürt hatte, nicht seit sie ein alberner Teenager gewesen war und sich in Henry verliebt hatte. Entsetzt erkannte sie, dass es Begehren war. Sein langer, schlanker Körper, so nah neben ihrem, seine hellbraune Haut, die dunklen Locken und schwarzen Augen … Sie mahnte sich, redete sich ein, dass sie müde und voller Sorge war und ihre Gefühle sie zum Narren hielten.
    Dann riss er sie aus ihren Gedanken. »Gehen Sie jetzt schlafen?«
    »Du denn?«
    »Ich bleibe hier.«
    »Dann bleibe ich auch.«
    Er stand auf. »Ich gehe die arme Abby absatteln. Sie passen auf, was drinnen vorgeht.«
    Beattie wartete und versuchte, sich zu sammeln. Das Aufkeimen der Lust hatte sie beunruhigt. Sie dachte schon lange nicht mehr an Männer und war davon ausgegangen, dass niemand eine beschädigte Ware wie sie haben wollte. Die Sorge um Lucy und der Kampf gegen die Armut hatten sie so sehr in Anspruch genommen, dass die Lust in den Hintergrund getreten war. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Charlie sie erregen würde. Sie durfte ihren Gefühlen nicht nachgeben, da sie ohnehin keine Zukunft hatten.
    Er kehrte zurück, ging kurz ins Schlafzimmer und kam leise wieder heraus. »Er schläft. Das Fieber scheint zu sinken.«
    »Sein Körper?«
    »Ein bisschen entspannter.« Er lächelte. »Ich glaube, er schafft es.«
    Beatties Herz wurde weit vor Erleichterung. »Hoffentlich hast du recht.« Sie wurde müde, der Kopf lag schwer auf ihren Knien, doch sie war entschlossen, für Mikhail Wache zu halten. Sie stand auf und entzündete eine neue Kerze. Der Wind ließ die Fensterscheiben erbeben, doch hier drinnen war es sicher. »Halt mich wach«, sagte sie zu Charlie und setzte sich neben ihn auf den Boden. Das Kerzenwachs roch warm in der Dunkelheit. »Du hast gesagt, es gebe nichts über dich zu wissen, aber ich möchte wetten, dass das nicht stimmt.«
    Charlie nickte. »Sicher, Missus, wenn Sie es wirklich hören wollen.«
    Und so erzählte er es

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