Der Wind der Erinnerung
Blick über die Schulter und sah durchs Fenster, wie sich Margaret über die Theke lehnte und mit Tilly sprach. Diese blickte auf, entdeckte Beattie am Fenster und wandte sich ab. Diesmal lächelte sie nicht.
Am liebsten wäre Beattie hineingelaufen und hätte gerufen: »Hör nicht auf sie! Sie ist eine frömmelnde Närrin!« Aber das tat sie nicht. Sie hob das Kinn und machte sich auf den Heimweg. Sie brauchte keine Verbündeten, sie kam allein zurecht.
In den langen Wochen, in denen Lucy nicht da war, war sie nur nachts traurig, wenn sie allein im Bett lag und viel Zeit hatte, über ihre Einsamkeit nachzudenken. Tagsüber hatte sie viel zu tun, war müde und dennoch zufrieden. Erst mit dem Abend kam die Sehnsucht.
Im März wurden die Hinterteile der Schafe geschoren, damit die Wolle dort nicht verschmutzte. Charlie brachte Mikhail bei, wie man die Schere benutzte, so dass er ihnen helfen konnte. Es war eine arbeitsreiche Zeit. Sie stand früh auf, wenn der Himmel noch mit dunklen Regenwolken bedeckt war und die schwarzen Umrisse abgestorbener Bäume in Nebel gehüllt waren. Es folgten endlose Tage des Auftriebs, bei denen sie die Tiere in die Schuppen hinein- und wieder hinausbugsieren mussten. Beattie fiel jeden Abend erschöpft ins Bett. Doch es war den Aufwand wert, da sie die geschorene Wolle an einen Händler in Launceston verkaufte, der ihr einen unerwartet hohen Preis zahlte. So kam sie zu einem zusätzlichen Profit. Sie ging in die Stadt und kaufte bei Tilly Harrow ein Stück schwere rosa Baumwolle. Die Ladenbesitzerin war nicht mehr so freundlich, aber wie alle anderen in der Stadt nur zu gern bereit, ihr Geld anzunehmen.
Aus dem Stoff nähte sie ein Kleid für Lucy. Sie hatte vergessen, wie sehr sie Stoffe und das Nähen liebte, wenn sie die sauberen Säume und Falten unter ihrer Nadel wachsen sah, und fragte sich, was mit der Wolle geschah, die sie verkaufte. Wenn sie ein bisschen davon spinnen und zu Tuch weben lassen könnte, trüge sie ihre eigene Farm am Körper. Es war eine wunderbare Vorstellung, die ihr ein Gefühl der Unabhängigkeit und Stärke verlieh. An diesem Abend nahm sie sich zum ersten Mal seit vielen Monaten ein Stück Papier und entwarf eine Jacke, die sich in Wolle wunderbar machen würde. Aus den Modezeitschriften, die sie im Kolonialwarenladen gesehen hatte, kannte sie die schmalen Linien und breiten Schärpen der aktuellen Mode. Stundenlang vertiefte sie sich in ihre Zeichnungen.
Dann kam Ostern, doch Henry wollte Lucy erst nach dem Gottesdienst am Ostersonntag bringen. Beattie schaffte es nie in die Kirche; sie hatte viel zu tun, und außerdem fühlte sie sich auf Wildflower Hill mit seiner tiefen Stille und den erdigen Gerüchen Gott viel näher als in der feuchten, kleinen Kirche. Wenn sie in der Abenddämmerung hinausging, wenn die fernen Berge sich blau färbten, der Bach einen silbernen Spiegel bildete und die kühlen Schatten aus den Mulden aufstiegen und Gras und Bäume umhüllten, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie jemals in einer überfüllten, muffigen Stadt glücklich gewesen sein sollte.
Am Sonntagnachmittag kam ihr kleines Mädchen endlich zu ihr zurück.
Charlie kämpfte gerade neben der Einfahrt mit einem Zaundraht – sie hatten kein Geld für neue Zäune, und er war sehr geschickt darin geworden, sie mit alten Stücken zu flicken –, als Henrys Wagen um die Ecke bog.
Beatties Herz machte einen Sprung. Die langen Monate des Wartens waren vorbei. Jetzt würde sich Lucys kleiner Körper zwei Wochen lang jede Nacht an sie kuscheln, und sie würde mit dem warmen Geruch ihrer Haare in der Nase einschlafen.
Die Hupe ertönte. Das war sicher nicht Henrys Idee, vermutlich hatten Lucy und Molly ihn dazu gedrängt.
Die Tür ging auf, und Lucy stieg aus. Diesmal wartete Beattie nicht auf sie, sondern umarmte sie ganz fest. Als sie zurücktrat, um sie anzuschauen, war Lucys Gesicht tränenüberströmt.
»Ich habe dich vermisst, Mummy.«
»Ich dich auch. Mehr als du dir vorstellen kannst.«
Molly und Henry stiegen aus. Sie war wie immer elegant gekleidet mit Hut und Handschuhen. Als sie Charlie erblickte, erstarrte sie.
Henry trat zu Beattie und überreichte ihr zwei Bücher. »Sie soll lesen üben«, knurrte er. »In der Schule läuft es nicht gut.«
Lucy wurde rot.
»Ja, Lucy, du musst besser lesen lernen, damit deine Mutter dir Briefe schreiben kann«, sagte Molly sanft und schaute nervös zu Charlie hinüber.
Beattie legte den Arm um Lucy.
Weitere Kostenlose Bücher