Der Wind der Erinnerung
bin. Ich muss hier in meinem Wahlkreis bleiben.«
»Ich weiß, ich weiß«, hatte sie geantwortet. Inzwischen hatten sie zwei Kleinkinder, die ihr zu den unpassendsten Zeiten an den Beinen hingen. Sie konnten sich vier Tage in der Woche ein Kindermädchen leisten, dennoch blieb für andere Dinge keine Zeit. Aber sie konnte die Vorstellung, Wildflower Hill zu verkaufen, nicht ertragen. Unter anderem deshalb, weil Charlie dort begraben lag.
Das konnte sie Ray natürlich schlecht sagen. Keinem Mann gefällt die Vorstellung, dass er nicht die größte Liebe seiner Frau ist.
Dennoch, was sollte sie mit Tausenden von Schafen anfangen? Also nahm sie Kontakt zu Leo Sampson auf, der ihr vorschlug, das Anwesen zu teilen. Die Wollpreise schossen in ungeahnte Höhen; es würde nicht schwer sein, einen Käufer zu finden. Das Haus und die Koppel, auf der es stand, könnte sie behalten, zusammen mit dem Schererhäuschen und den neuen Ställen. Die neuen Besitzer könnten sich am südlichen Ende des Anwesens ihr eigenes Haus bauen.
Binnen einer Woche hatte er zurückgerufen. »Vielleicht gefällt Ihnen die Idee nicht. Daher wüsste ich gerne, ob Sie sitzen.«
Sitzen? Sie hatte zwei Kinder unter zwei Jahren. Sie konnte kaum einen Stuhl unter den Bergen ungefalteter Wäsche finden, geschweige denn Zeit, um sich hinzusetzen. Sie schaute sich in dem großen, sonnigen Zimmer um und bemerkte, dass Mikey wieder mal verschwunden war.
»Reden Sie.«
»Die Harrows würden gerne die Farm kaufen.«
»Die Harrows? Tilly und Frank?«
»Ja. Ich weiß, dass Sie sie nicht mögen, genauso wenig wie ich, aber …«
»Nennen Sie ihnen einen Preis an der oberen Grenze. Wolle boomt. Sie werden zahlen«, sagte sie. »Warum sollte ich nicht ihr Geld nehmen?«
Leo zögerte.
»Ich muss jetzt wirklich auflegen«, sagte Beattie. »Ich habe eins meiner Kinder verloren.«
»Ich erkundige mich, was sie sagen. Passen Sie gut auf sich auf, Beattie.«
»Sie auch.«
Die Kinder hatten ihr Leben verändert. Es blieb nicht mehr viel Zeit für geruhsame Diskussionen. Eigentlich waren sie beide zu alt und zu eingefahren für Kinder, hatten aber dem Druck ihrer Umgebung nachgegeben. Sie waren ein glückliches Paar, das im Licht der Öffentlichkeit stand, und brauchten Kinder, um dieses Bild zu perfektionieren. Einen Jungen für ihn und ein Mädchen für sie.
Mikeys Geburt verlief so ganz anders als die von Lucy zwanzig Jahre zuvor. Diesmal mischten sich die Ärzte ein, Krankenschwestern holten ihr Baby weg und brachten es nur alle vier Stunden zu ihr. Dann war Mikey zu unruhig, um richtig zu trinken, und musste unter Zwang mit einer Flasche ernährt werden. Beattie sagte Ray, sie wolle das Krankenhaus sofort verlassen.
»Solltest du nicht lieber auf sie hören? Sie haben so viel Erfahrung mit Babys. Wir gar keine.«
Sie hatte sich durchgesetzt und war mit Mikey nach Hause gegangen. Er gedieh mit ihrer Muttermilch und schlief, genau wie Lucy, in einer Wiege neben ihrem Bett, bis er sechs Monate alt war.
Beide Babys waren glücklich und wohlgenährt. Beattie wollte keine Kinder mehr, doch Ray hatte sich schon ohne ihr Wissen sterilisieren lassen. Sie wusste nicht, was sie daran so störte; immerhin sagte sie ihm auch nicht alles. Dies war jedoch nur eine von vielen unglückseligen Tatsachen, die ihre Beziehung abkühlen ließen. Außerdem war er sehr viel unterwegs und ließ sie mit den Kindern und ihrer Firma allein. Ray wusste ihre Arbeit nie so sehr zu schätzen wie seine eigene.
Natürlich liebte er sie noch. Sie liebte ihn auch. Doch die Aussicht, miteinander alt zu werden, schien nicht mehr romantisch, sondern eher wie eine schwere Prüfung.
Leo Sampson rief sie kurz vor der Schur an. Sie hatte Helfer eingestellt und hoffte auf das Beste. Bisher lief alles glatt. Daher fürchtete sie jetzt schlechte Nachrichten.
»Die Harrows haben Ihr Angebot angenommen.«
»Wirklich? Und ich kann die Koppel behalten?«
»Sie bauen an der südlichen Grenze in der Nähe des Staudamms. Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen die Verträge schicke?«
»Ich bin begeistert!«
Ihr Bungalow in Edgecliff wurde allmählich zu klein, und sie nutzten den warmen Regen, um ein Haus zu kaufen, an das sie sich bislang nicht herangetraut hatten: ein heruntergekommenes, aber sonnendurchflutetes Gebäude in Point Piper.
Sie wohnten seit fast einem Jahr dort, als Tilly Harrow anrief. Das Kindermädchen, eine jugoslawische Einwanderin namens Ivona, tobte gerade als Reitpferd
Weitere Kostenlose Bücher