Der Wind der Erinnerung
sie setzten sich vors Feuer.
Ray hatte den Arm auf die Rückenlehne des Sofas gelegt, und ihre Haut kribbelte leise vor Begehren.
»Darf ich dich etwas fragen, Beattie?« Er schaute sie an. Seine Haut schimmerte golden im Feuerschein.
»Was denn?«
»Heute Morgen im Auto habe ich gespürt, dass du eigentlich nicht mit mir zusammen sein wolltest.«
»Nein, das stimmt nicht. Ich fühle mich sehr wohl in deiner Gesellschaft.«
»Ich meine, zusammen im Sinne von Beziehung. Im Sinne von einander kennenlernen und … mehr.«
Beattie sah ihn an. Es war an der Zeit, es ihm zu sagen.
Na los, erzähl ihm alles.
Von Lucy. Von Charlie. Wie du in den Besitz von Wildflower Hill gelangt bist. Doch sie wusste nur zu gut, dass Ray sie erst nach mehreren Monaten geküsst und sich elegant aus ihren leidenschaftlichen Umarmungen gelöst hatte. Wie sollte sie ihm eingestehen, dass sie nicht nur einen, sondern zwei Liebhaber gehabt hatte?
Sie konnte es einfach nicht. Lucy würde vor Kriegsende nicht in ihr Leben zurückkehren. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn sie ihre Tochter jetzt nicht erwähnte, in diesem feuerhellen Zimmer, in dem sich Rays Augen auf sie hefteten.
»Du bist ein wunderbarer Mann.«
»Aber …?«
»Kein Aber.«
»Also habe ich doch keinen Narren aus mir gemacht, als ich dich meinen Eltern vorgestellt habe?«
»Ganz und gar nicht.« Sie ergriff seine Hand sehr fest.
»Du hast etwas Besseres als mich verdient«, sagte er. »Einen Mann, der nicht das halbe Jahr von zu Hause weg ist.«
»Das macht mir nichts aus. Ich bin das Alleinsein gewohnt.«
»Und du wirst dich in niemand anderen verlieben, während ich weg bin?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das verspreche ich dir, Ray. Du bist der Richtige für mich.«
Beattie wusste, dass irgendwann alles herauskommen würde, spätestens, wenn sie Lucy wiedersah. Doch wenn Ray unterwegs war, schien es nicht so wichtig zu sein, und wenn er bei ihr war, war sie zu beschäftigt, um daran zu denken. Schließlich ging der Krieg zu Ende, und in derselben Woche traf eine Sendung aus Schottland ein.
Es war einer ihrer eigenen Briefe mit der Aufschrift: »Unbekannt verzogen«.
Beattie war niedergeschmettert, zornig und verwirrt. Wann waren Molly und Henry umgezogen, ohne es ihr zu sagen?
Ray bemerkte beim Abendessen, sie wirke distanziert und geistesabwesend, doch Beattie erwiderte, es habe mit der Arbeit zu tun, er solle sich keine Sorgen machen. Sie war wütend auf sich, weil sie ihm nicht einfach die Wahrheit gesagt hatte. Er war ein freundlicher Mensch, er würde es verstehen. Er würde sagen, es sei gut, es mache ihm nichts aus.
Doch sie fürchtete sich nicht nur vor seiner Meinung. Er war ein gewählter Abgeordneter; seine Karriere hing von seinem guten Ruf ab, von seiner Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit. Eine furchtbare Traurigkeit überkam sie. Sie war nicht gut für Ray. Am besten würde sie aus seinem Leben verschwinden, damit er eine Frau ohne Vergangenheit heiraten konnte, eine Frau, die ihn niemals öffentlich blamieren würde.
Er wählte genau diesen Augenblick, um die Serviette beiseitezulegen, aufzustehen und auf ein Knie zu sinken.
Die anderen Gäste im Restaurant tuschelten aufgeregt miteinander.
»Nein, Ray, nein«, flüsterte sie, doch er hörte nicht auf sie.
»Beattie …«
»Nicht hier«, sagte sie.
Doch es war zu spät. Sie hatten ein Publikum. Tränen brannten in ihren Augen. Er griff nach ihrer Hand, doch sie zog sie weg. Sprang vom Stuhl und rannte zur Tür.
Hinaus in die Abendluft, den Verkehrslärm und den Zigarettenrauch der Passanten.
Er fand sie schluchzend vor ihrer eigenen Haustür. Bei ihrer wilden Flucht hatte sie den Schlüssel verloren, das brachte das Fass zum Überlaufen.
»Eigentlich sollte
ich
weinen«, sagte er vom Tor aus.
Sie blickte auf. »Ich habe den Schlüssel verloren.«
Er hielt ihn hoch. »Er lag im Restaurant auf dem Boden. Zum Glück kniete ich gerade und habe ihn gesehen.«
»Es tut mir so leid, Ray.«
»Können wir uns drinnen unterhalten? Hier draußen ist es ziemlich kühl.«
Sie winkte ihn zu sich, und er schloss ihnen die Tür auf. Sie schaltete die Lampen neben dem Sofa ein und zog die Vorhänge zu. Ihr Herz klopfte dumpf.
»Ich gehe davon aus, dass du mich nicht heiraten willst«, sagte er und setzte sich in den Sessel vor dem leeren Kamin.
»So einfach ist es nicht.«
»Du willst mich also heiraten?«
Heiraten. Als sie das letzte Mal daran gedacht hatte, war sie
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