Der Wind der Erinnerung
Nails gegenüber. »Nein, schon gut.«
»Mensch, Sie sind doch Emma Blaxland-Hunter.«
»Sieht so aus.« Josh und ich hatten immer Witze über unsere Nachnamen gemacht. Er war auch ein Bindestrich-Kind: Joshua Hamer-Lyndon. Typisch moderne Eltern, die ihren Kindern auch den Mädchennamen der Mutter weitergeben wollten, hatte er sich beklagt. Unsere Kinder würden Bill und Ben Hamer-Lyndon-Blaxland-Hunter heißen und die arme Generation bedauern, die ihnen nachfolgen würde.
Natürlich hatte ich ihn nie ernst genommen. Kinder gehörten nicht zu meinem Programm – jedenfalls nicht in der näheren Zukunft –, und ich war davon ausgegangen, dass er es ähnlich sah.
»Dürfte ich meine Chefin holen? Sie würde Sie so gerne kennenlernen.«
Doch an diesem Abend war mir einfach nicht danach. Natürlich würde ich wie eine arrogante Kuh wirken, und sie würden wochenlang über mich herziehen. »Emma Blaxland-Hunter hat sich unsere Dekorationen angesehen, wollte aber nicht mit uns sprechen.«
»Es tut mir leid. Ich muss weg …« Ich wich zurück und hätte beinahe eine Schaufensterpuppe umgestoßen, deren Beine genauso lang waren wie die der Verkäuferin. »Es tut mir wirklich leid.«
Ich floh ins Menschengetümmel auf der Straße. Mein Magen knurrte. Ich eilte in die U-Bahn-Station Bond Street und fuhr nach Hause.
Wann immer ich die Tür öffnete, hielt mein Herz den Atem an, weil es hoffte, Josh wäre zurück. Aber nein, die Wohnung war dunkel und verlassen. Ich hängte die Schlüssel an den Haken und schaltete das Licht ein. Das Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte. Sicher wäre es diesmal Josh, dieses alberne Spielchen ging schon viel zu lange. Aber es war nicht er, sondern Adelaide, meine persönliche Assistentin.
»Ruf mich zurück. Es ist wichtig. Sehr wichtig. Nichts Berufliches, aber trotzdem. Du sollst es von mir erfahren.«
Stirnrunzelnd legte ich den Hörer auf. Ich wollte sie nicht anrufen. Sie klang durcheinander, als hätte sie schlechte Neuigkeiten.
Ich öffnete alle Fenster in der Wohnung, worauf ein schwacher warmer Wind, der nach Abgasen roch, zögernd hereinwehte. Ich goss mir ein Glas Wein ein. Dann sah ich in die Vorratskammer. Leer. Wann hatte ich zuletzt eingekauft? Ich schaute zum Telefon.
Sehr wichtig.
Ich wollte es nicht wissen; ich fürchtete mich vor dem, was sie mir zu sagen hatte.
Endlich gab ich mir einen Ruck und wählte ihre Nummer.
Adelaide meldete sich beim ersten Klingeln. »Emma?«
»Woher wusstest du das?« Mein Herz klopfte sanft in meiner Kehle.
»Anruferkennung. Sitzt du?«
Ich hockte mich auf die Sofalehne. »Jetzt schon.«
»Ich habe heute Abend Josh gesehen.«
»Josh? Meinen Josh? Kommt er …?«
Kommt er zurück?
Doch ihr Tonfall verriet mir, dass er nicht zurückkommen würde; sie hatte keine guten Neuigkeiten.
»Er war in Begleitung, Emma. Es tut mir so leid.«
Meine Hoffnung erstarb. Mit der freien Hand klammerte ich mich an die Sofalehne. »Du meinst …?«
»Eine Frau, ja. Aber nicht irgendeine Frau. Sarah. Seine Assistentin.«
Ich konnte mich nicht an sie erinnern und war überrascht, dass Adelaide sie kannte. Natürlich, sie hatten zusammen Termine organisiert, Josh und ich waren sehr beschäftigt.
Irgendwie konnte ich meine Stimme beherrschen. »Danke, dass du es mir gesagt hast.«
»Es tut mir so leid. Ich hätte dir lieber etwas Schöneres erzählt.«
»Nein, nein. Ich bin froh, dass ich es von dir erfahren habe.« Wirklich? Oder war das nur die übliche Plattitüde, die man brachte, wenn einem jemand das Herz herausgerissen und auf dem Boden zertreten hatte? »Wir sehen uns im Studio.«
Ich hängte ein und ließ mich mit geschlossenen Augen aufs Sofa rutschen. Josh und seine Assistentin. Was für ein furchtbares Klischee. Er hatte schnell reagiert, es waren keine zwei Wochen vergangen …
Moment mal.
Sarah.
Jetzt fiel es mir ein. Sie hatte ein hartes Gesicht und war überhaupt nicht hübsch. Er hatte sie öfter erwähnt, aber ich hatte nicht weiter darauf geachtet. Nun aber kam es mir vor, als hätte ich ein paar wichtige Tatsachen übersehen. Die langen Abende im Büro, mindestens eine Geschäftsreise im Monat, der BlackBerry, auf dem er wie ein Wilder Tag und Nacht mit zwei Fingern Nachrichten tippte. Hatte er die ganze Zeit schon eine Affäre gehabt? War sein Ultimatum nur eine Entscheidungshilfe für ihn gewesen?
Ich spürte, wie etwas in mir zerbrach, zu Sand zerrann. Ich wollte nicht allein sein, aber ich hatte so wenige
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