Der Wind der Erinnerung
zweiunddreißig.«
»Da bleibt noch eine Menge Zeit.« Woher kam die Beklemmung in meiner Brust? »Zuerst muss ich noch ganz viel tanzen.«
Josh fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, holte tief Luft und sagte: »Es tut mir leid. Unsere Beziehung funktioniert nicht. Ich möchte sie beenden.«
Es traf mich wie ein elektrischer Schlag, die Welt wirkte plötzlich klar und scharf. Wir befanden uns in einem Vakuum, einem langen Schweigen. Ich wagte nicht zu sprechen, weil ich nichts Falsches sagen wollte.
Sie funktionierte nicht?
Aus meiner Sicht hatte sie wunderbar funktioniert. Also sagte ich nur: »Gut.«
Er neigte den Kopf, Zorn huschte über sein Gesicht. Er glaubte, es wäre mir egal. Aber das stimmte nicht. Ich war nur zu entsetzt, um mehr zu erwidern. Die Menschen verstanden mich immer falsch. Ich wusste einfach nicht, wie man das Richtige sagt.
Josh hatte sich wieder in der Gewalt, er wollte keinen langen, tränenreichen Abschied. Er griff nach seinen Schlüsseln und seinem Handy und stand auf. »Ich muss los. Ich nehme mir für heute Nacht ein Zimmer im Berkeley und hole morgen meine Sachen aus der Wohnung, während du im Studio bist.« Er streckte die Hand nach meinem Haar aus, doch ich zuckte zurück. »Es tut mir leid, Em«, sagte er in dem sanften, vertrauten Ton, den ich so liebte. »Wirklich. Aber du bist nicht die Richtige für mich.«
Am liebsten hätte ich geschrien. Den Tisch umgeworfen. Ihn so fest zwischen die Beine getreten, dass er blau anlief. Aber ich tat nichts davon. Ich war zu prominent: Emma Blaxland-Hunter, Primaballerina beim London Ballet. Enkelin des Blaxland-Wollimperiums. Ich trug den Ruf der Familie auf meinen schmalen Schultern.
Er ging. Ich wartete fünf Minuten und ging dann auch, ohne die neugierigen Blicke zu beachten, die mir folgten.
* * *
Ich weigerte mich zu glauben, dass Josh nicht zurückkäme. Sicher, am folgenden Tag holte er seine Kleider, Toilettenartikel und CDs, während ich bei der Probe war, aber er hatte beispielsweise nicht die Topfpflanzen von der Terrasse mitgenommen, die er so liebevoll gepflegt hatte. Ich war mir sicher, dass er zurückkommen würde, also rief ich ihn nicht an. Ich wollte, dass er mich anrief. Ich hatte eine Entschuldigung verdient. Eine große Entschuldigung.
Die Sommertage schleppten sich dahin, und ich sehnte mich nach der Dunkelheit des Winters. Doch die Tage verweilten, und ein helles Licht schien in mein verunsichertes Herz. Die Hitze verstärkte mein Elend noch. In Sydney waren die Häuser wenigstens für dieses Klima ausgelegt und ließen die Luft zirkulieren. Hier aber schienen sie wie dafür geschaffen, die stickige Wärme zu speichern.
Weil mich zu Hause nur eine leere, überhitzte Wohnung erwartete, blieb ich immer länger im Studio. Weil ich vergessen wollte, wie sehr ich auf Josh wartete, stürzte ich mich in die Arbeit. Die Proben für
Giselle
im September waren in vollem Gange, und solange ich mich im Studio aufhielt, dachte ich kaum an ihn. Doch die Traurigkeit ließ sich nicht vertreiben, sie wartete in meinen Straßenkleidern, wenn ich mich umzog, den festen Knoten löste und mir die langen Haare kämmte. Die Leere. Kein Josh, mit dem ich mich zum Essen treffen konnte. Kein Josh, der zu Hause auf mich wartete.
In den ersten beiden Wochen verbrachte ich jeden Abend damit, quer durch die Stadt zu laufen. Manchmal wurde mir der Verkehr zu viel, und ich suchte Zuflucht in Parks oder schaute teilnahmslos in die Schaufenster. Am zweiten Freitagabend entdeckte ich bei Selfridges eine Dekoration von Blaxland Wool und ging hinein, um sie mir näher anzuschauen. Die Firma hatte sich auf hochwertige Damenmode spezialisiert. Dieses Jahr waren es von den Vierzigerjahren inspirierte Kostüme mit sehr kurzen Röcken in leuchtenden Farben. Ich bezweifelte, dass sie Grandma gefallen hätten, und der Gedanke versetzte mir einen Stich.
Grandma.
Wenn sie noch gelebt hätte, hätte ich sie als Erste angerufen. »Gran, ich glaube, er hat mich verlassen. Ich glaube, er kommt nicht wieder.« Und Grandmas Stimme hätte mich durchs Telefon getröstet.
Sch, Emma, alles wird gut. Ich kenne dich, ich weiß, dass du es schaffst.
Grandma glaubte mehr an mich als ich selbst.
Ich befühlte die Manschetten eines Kostüms und bekam meine Panik wieder unter Kontrolle. Josh würde zurückkommen.
Immer positiv denken.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ich drehte mich um und sah mich einer großen jungen Frau mit langen Fohlenbeinen und extralangen French
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