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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Nationalstolz. »Sie werden sich gut um dich und dein Knie kümmern.« Dann folgten die Worte, die alles entschieden. »Dein Vater kennt eine Physiotherapeutin, die einem der Sydney Swans geholfen hat, der eine schwere Knieverletzung hatte. Sie ist ziemlich berühmt. Ich glaube, er kann heute wieder spielen.«
    Mein Herz griff nach dem Strohhalm. Wollte sie damit sagen, dass mir diese Physiotherapeutin dabei helfen könnte, wieder zu tanzen? Denn wenn ich tanzen konnte, hatte ich eine Zukunft. Wenn nicht, bliebe ich ein menschliches Wrack.
    Mum hielt den Atem an.
    »Na gut, ich komme mit.«
    * * *
    Ich brauchte geschlagene sechs Minuten, in denen ich das Geländer eisern umklammerte, aber schließlich schaffte ich es schweißüberströmt die schmale Treppe zur Dachterrasse hinauf.
    Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit, und der Nordostwind blies Regenböen vom grauen Meer herüber. Ich ging über die Holzbohlen, vorbei an den Töpfen mit Ringelblumen und Fleißigen Lieschen, lehnte mich ans Geländer und holte tief Luft.
    Es war der Ausblick über die Themse zum Battersea Park, in den Josh und ich uns verliebt hatten. Die Melancholie umfing mich. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem wir eingezogen waren. Ich hatte
Daphnis und Chloe
für eine Provinztournee geprobt, und Josh war gerade befördert worden. Wir ließen die Kartons stehen und gingen mit Essen vom China-Imbiss und einer Flasche Veuve Clicquot auf die Terrasse. Als der Himmel dunkler wurde und die Lichter Londons zum Leben erwachten, hatte Josh Decken geholt, und wir liebten uns unter freiem Himmel. Seine Küsse schmeckten nach Champagner und Sojasoße. Ich fror und lachte gleichzeitig. Wir waren sicher, dass von nun an alles nach Wunsch laufen würde.
    Vielleicht war es das für Josh auch, das wusste ich nicht. Mir wurde klar, dass ich viel zu wenig über ihn wusste. Ich hatte ihn nie nach seiner Arbeit gefragt, weil ich sie langweilig fand, während er immer etwas über meine wissen wollte, was ich darüber dachte und wie ich sie empfand. War ich wirklich so selbstsüchtig gewesen? Anscheinend schon. Vielleicht wartete bei Frauen wie mir immer eine Assistentin in den Kulissen.
    Mum würde mich in einer Stunde abholen. Sie hatte die Flüge schon vor ihrer Abreise gebucht. Business Class, damit ich die ganze Zeit über die Beine ausstrecken konnte. Dennoch fürchtete ich mich vor dem langen Flug. Ich würde meine letzten Schlaftabletten und Schmerzmittel brauchen, um ihn zu überstehen, hatte mich aber geweigert, mir neue verschreiben zu lassen. Sobald wir in Australien landeten, würde ich daran arbeiten, meine Fitness wiederzuerlangen. Meine Würde. Vielleicht sogar meine Fähigkeit zu tanzen.
    Wie sehr wünschte ich mir doch, Mum würde nicht immer über »andere Berufe« sprechen. Tanzlehrerin beispielsweise. Unterrichten! Ich hatte schon Probleme mit Erwachsenen, wie sollte ich da mit Kindern zurechtkommen? Vermutlich würde ich sie brechen. Choreografin: Nein. Ich wäre nur eifersüchtig, wenn ich die Menschen mit ihren fließenden Bewegungen sähe und ihrem klopfenden Herzen nachspürte, während ich als Zuschauerin in den Kulissen stünde.
    Seufzend ließ ich mich gegen das Geländer sinken. »Lebe wohl, lebe wohl«, sagte ich zum Londoner Himmel und dem Fluss und den Autos und den Menschen und dem Traum und war tief in meiner Trauer gefangen. »Ich fahre nach Hause.«

[home]
    Sieben
    I ch muss Mum zugutehalten, dass sie eine Woche wartete, bis sie ihr eigentliches Motiv enthüllte – das reichte aus, um mich vom Jetlag und dem Absetzen der Schmerzmittel zu erholen. Vielleicht hätte sie auch noch länger gewartet, aber Onkel Mike kam überraschend vorbei und plauderte ebenso überraschend aus, was er für sich hätte behalten sollen.
    In Sydney war Frühling, und alles war erfüllt vom Duft des Jasmins in Mums Garten. Ich hatte bei der Bekannten meines Vaters mit der Physiotherapie begonnen und marschierte auf ihre Empfehlung hin entschlossenen Schrittes durch die Diele, wobei ich der allzu freundlichen feuchten Nase von Tiger auswich, dem Deutschen Schäferhundwelpen, den Dad meiner Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte. Ohne Schmerzmittel konnte ich das Gelenk deutlicher spüren. Die Physiotherapeutin hatte mir keine falschen Hoffnungen gemacht. Meine Verletzung sei außergewöhnliches Pech gewesen, vor allem für eine Tänzerin. Aber sie hatte mir einen guten Rat gegeben: sich nur auf den heutigen Tag zu konzentrieren. An morgen zu

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