Der Wind der Erinnerung
Kaminfeuer anzuzünden, wuchs ihre Furcht. Molly. Der Irische Wolfshund. Eine Frau, der sie nie begegnet und mit der sie doch untrennbar verbunden war. Beattie hatte ihr den Ehemann gestohlen. Na bitte, sie hatte es in Gedanken ausgesprochen. Und was passierte mit Frauen, die anderen den Ehemann stahlen? Das würde Beattie wohl bald erfahren.
Um zehn gab sie das Warten auf. Selbst wenn Henry jetzt noch nach Hause käme, wäre er nicht nüchtern genug für ein Gespräch. Sie zog ihr Nachthemd an und legte sich ins Bett. Windböen ließen die Fenster vibrieren, und sie schlief unruhig, von Träumen und Angstbildern gepeinigt.
In den frühen Morgenstunden, als die Welt der Sonne am fernsten schien, hörte sie Stimmen.
Sofort war sie hellwach und setzte sich auf. Hatte Henry den Brief schon gesehen? Sie stand auf und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Im Wohnzimmer brannte Licht, das Kaminfeuer prasselte. Sie redeten irgendeinen Unsinn über einen reichen Kunden, machten schmutzige Witze und lachten dröhnend. Sie hörte Gläser klirren. Sie tranken. Hoffentlich hatte Billy den Alkohol gekauft, Henry hatte kein Geld dafür.
Beattie legte sich wieder ins Bett, ließ die Tür aber angelehnt. Sie konnte nur Teile des Gesprächs mithören. Es wurde laut gelacht, und kurz darauf öffnete sich Lucys Zimmertür. Sie hatten das Mädchen geweckt.
Als Beattie sich den Morgenmantel überzog, hörte sie die schläfrige Stimme im Flur.
»Daddy?«
»Meine Kleine!«, rief Henry mit betrunkener Stimme. »Komm her, Schätzchen. Sag Onkel Billy guten Tag.«
Beattie bekam eine Gänsehaut, als sie sich »Onkel Billy« in der Nähe ihrer Tochter vorstellte, und eilte ins Wohnzimmer.
»Komm her, Lucy. Geh wieder ins Bett.«
Henry funkelte sie an. »Ich habe sie den ganzen Tag nicht gesehen. Ich will ihr wenigstens hallo sagen, Frau.«
Beattie biss sich auf die Zunge, sonst hätte sie erwidert, er habe sie nur deshalb den ganzen Tag nicht gesehen, weil er trinken war. Und vermutlich auch gespielt hatte.
Lucy warf sich in seine Arme, und er drückte sie heftig an sich.
»Sie ist dein Ebenbild, Henry«, sagte Billy.
»Außer wenn sie lächelt. Dann ist sie ganz Beattie.«
Billy warf einen Blick auf Beattie, auf ihr Nachthemd. Sie zog den Bademantel am Hals enger zusammen. Er lächelte grausam – im Grunde hatte sie ihn nie anders lächeln sehen – und hielt ihr ein leeres Whiskyglas hin. »Was zu trinken?«
»Es ist ein Uhr morgens.«
»Der hilft dir beim Schlafen.«
Beattie antwortete nicht. Ihr Blick wanderte zum Kaminsims. Der Brief war ungeöffnet.
Henry setzte Lucy auf den Boden. »Sollen wir ein kleines Lied für Onkel Billy singen? Das mit dem Vögelchen, das du dir ausgedacht hast?« Er wandte sich an seinen Freund. »Sie ist ein kluges Mädchen, Billy, das glaubst du gar nicht.«
»Sie muss jetzt wirklich schlafen«, warf Beattie ein.
»Ich will mit Daddy aufbleiben.«
Henry gab nach. »Deine Mutter hat recht. Ich freue mich nur so, meine Kleine zu sehen.« Er strich ihr sanft übers Haar. »Ab ins Bett mit dir. Du kannst morgen für mich singen.«
Beattie brachte ihre Tochter wieder ins Bett. Inzwischen war sie hellwach und ruhelos, und Beattie bezweifelte, dass sie wieder einschlafen würde.
»Mach einfach die Augen zu. Ab ins Traumland. Wir treffen uns unter der großen Kastanie. Dann machen wir ein Picknick.«
Lucy lächelte. »Können wir auch Kuchen essen?«
»Ja, Kuchen mit Marmelade in der Mitte.«
Lucy tat, als äße sie ein Riesenstück, drehte sich um und kniff die Augen zu. Beattie schloss leise die Tür und blieb auf der Schwelle zum Wohnzimmer stehen. Henry wirkte jetzt ruhiger, doch Billy kreischte vor Lachen. Sie wartete, bis er sich beruhigt hatte und lächelte höflich. »Hast du etwas von deinem Bruder gehört, Billy? Hat Cora schon ihr Baby?«
»Ja, ja, Teddy ist stolzer Vater. Ein Junge, sie haben ihn Frank genannt. Und sie sind nach Edinburgh gezogen, in ein Haus mit Garten. Häusliches Glück.«
Beattie konnte ihre Eifersucht kaum beherrschen. »Richte ihnen meine Glückwünsche aus.« Dann blickte sie zu Henry. »Du hast einen Brief bekommen.« Sie deutete zum Kaminsims. »Könnte wichtig sein. Ich gehe schlafen.«
Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um und kehrte ins Schlafzimmer zurück, ließ die Tür aber angelehnt und spähte hindurch. Langes Schweigen. Er las den Brief.
»Was ist los, MacConnell? Schlechte Neuigkeiten?«
»Es ist nichts«, sagte Henry rasch. Er ging
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