Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
Vom Netzwerk:
Ecke war es dunkel.
    Mit einer raschen Bewegung steckte er die Puppe ein. Dann schob er Lucy eilig aus dem Laden und erstickte ihr aufgeregtes Gelächter. Er nahm sie auf den Arm und eilte hinunter zum verlassenen Marktplatz, wo sie sich hinsetzten und er sie sämtliche Taschen durchsuchen ließ, bis sie die Puppe gefunden hatte.
    Dann schlang sie ihre kleinen Arme um seinen Hals und quietschte vor Glück.
    Während Lucy mit ihrem Püppchen spielte, die Platanen ihre Blätter auf sie regnen ließen und die Boote sanft im Hafenbecken schaukelten, legte sich Henrys Wut. Er schämte sich ein bisschen – Spielzeug für seine Tochter zu stehlen! Wie weit war es mit ihm gekommen. Früher hatte er gewusst, was er vom Leben wollte. Doch dann hatte er Beattie kennengelernt mit den großen blauen Augen und der zarten weißen Haut … eine Zeitlang schien sie seine große Liebe zu sein. Nun erschien sie ihm als sein größter Fehler.
    Vor allem jetzt, da Molly ihn gefunden und ihm geschrieben hatte, dass ihr Vater in Irland gestorben sei und ihr ein kleines Vermögen hinterlassen habe. Sie wolle ihn noch immer zurück, trotz allem. So ein Mensch war Molly. Ein guter Mensch, mit einem Herzen, das von Engeln gemacht schien.
    Er gab sich einen Ruck. Das war nicht mehr sein Leben. Sein Leben war hier. Lächelnd betrachtete er Lucy noch ein Weilchen. Das Kind machte ihn so glücklich, dass er seine Entscheidung nicht bereute. Er würde auch ohne Mollys Geld und Beatties Verehrung zurechtkommen. Für die Liebe seiner Tochter konnte er alles ertragen.

[home]
    Neun
    O bwohl Henry es ausdrücklich verboten hatte, klopfte Beattie leise an die Tür ihrer Nachbarin. Sie war aus vielen Gründen verzweifelt, doch am dringendsten brauchte sie Geld. Sie besaß nur ein Paar Schuhe, das sie aus Glasgow mitgebracht hatte und in dem sie aus Morecombe House weggelaufen war, und das war nun unwiderruflich kaputt.
    Allerdings hatte sie nicht vor, Doris um Geld zu bitten. Schon bei dem Gedanken schämte sie sich zu Tode. Aber sie wusste, dass die ältere Frau allein lebte und möglicherweise Hilfe brauchte. Beattie könnte gegen Geld Aufgaben übernehmen, wenn Henry unterwegs war. So würde er nichts merken.
    Beattie kniete sich hin und strich den Saum von Lucys Kleid glatt. Sie musste ihn schon wieder auslassen. Das Kind wuchs einfach zu schnell.
    »Was machen wir hier, Mummy?«
    »Ich muss ganz kurz mit der alten Dame sprechen, die hier wohnt. Sie heißt Doris.« Fast hätte sie gesagt: »Daddy darf nichts davon wissen«, doch das wäre für das Mädchen geradezu eine Einladung gewesen, ihm davon zu erzählen. Vor Daddy durfte man keine Geheimnisse haben. Stattdessen würde sie darauf hoffen, dass die kleine Lucy noch leicht abzulenken war. Ein Nachmittag mit den Wäscheklammerpuppen in dem Boot, das sie aus einer Seifenkiste gebastelt hatte, und schon wäre alles vergessen.
    Die Tür öffnete sich, und Doris blickte sie neugierig an. »Mrs. MacConnell?«
    »Beattie.« Sie streckte die Hand aus.
    Doris drückte sie kurz und lächelte. »Wie nett, dass Sie vorbeischauen. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
    »Ich …« Beattie zögerte, entschied dann aber, dass es keine halben Freundschaften gab. »Natürlich, vielen Dank. Sehr gern.«
    Sie schob Lucy ins Haus und setzte sie mit der kleinen Babypuppe ins Wohnzimmer. Die hatte Henry ihr gekauft, und Beattie hatte wohlweislich den Mund gehalten, obwohl sie viele Dinge dringender brauchten als eine Puppe. Das Mädchen spielte zufrieden, während Doris Tee holte und Beattie sich im Zimmer umsah. Alles sah makellos aus. Diese Frau brauchte offenkundig keine Haushaltshilfe. Auf jeder schimmernden Oberfläche standen kleine Glasfiguren, Kerzenleuchter aus Porzellan und silberne Schatullen. Über dem Kaminsims hing ein schweres, verziertes Kruzifix, unter dem ein Aquarell mit einem blonden, blauäugigen Jesus wie das Foto eines nahen Angehörigen lehnte.
    »Ich muss schon sagen«, bemerkte Doris, als sie den Tee eingoss, »ich hätte nie erwartet, Sie mal in meinem Wohnzimmer zu haben.«
    »Es tut mir sehr leid. Mein Mann und ich sind sehr für uns geblieben.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Henry war in den Kneipen der Stadt kein Unbekannter. Zweifellos hatte Molly ihn aufgespürt, weil er notorisch indiskret war.
    »Sie brauchen mir nichts zu erklären«, sagte Doris und setzte sich neben Beattie auf das Sofa mit der hohen Lehne. »Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Seit mein Mann tot

Weitere Kostenlose Bücher