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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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zum Kamin. Er würde den Brief verbrennen. »Nur irgendwelcher Unsinn. Noch was zu trinken?«
    Beattie legte sich ins Bett und schloss die Augen. Er verbrannte ihn. Also wollte er ihn nicht haben. Demnach war alles in Ordnung. Oder nicht? Sie konnte nicht schlafen. Nach einer halben Stunde polterte Billy zur Tür hinaus, und Henry glitt leise neben ihr ins Bett, um sie nicht zu wecken.
    Sie drehte sich zu ihm. »Henry, der Brief …«
    »Frag nicht.«
    »Aber was wollte sie? Was …«
    »Ich habe gesagt, frag nicht!«,
brüllte er, und es hallte so laut in der Dunkelheit, dass sie heftig zusammenzuckte.
    Sie wollte noch etwas sagen, suchte Gewissheit, doch er sollte nicht wieder brüllen. Er hatte ihn verbrannt. Er wollte ihn vergessen. Das musste reichen.
     
    Manche Dinge nahm man besser selbst in die Hand, dachte Henry. Sooft er Beattie auch sagte, sie müsse mit den Frauen im Kolonialwarenladen verhandeln, bestand sie darauf, es sei nicht möglich, die beiden mit ihren harten Gesichtern würden ihnen keinen Penny Kredit mehr einräumen. Das konnte er keine Sekunde lang glauben. Beattie war ein bisschen faul und ein bisschen zu sehr darauf bedacht, was andere Leute von ihr hielten. Also hatte er den Hut aufgesetzt und war mit Lucy an der Hand zum Laden marschiert, um Jean und Lesley zur Vernunft zu bringen. Er konnte nicht bezahlen, noch nicht, obwohl er bald mit einem Geldsegen rechnete. Irgendwann musste sich sein Glück am Kartentisch wenden. Offen gesagt, schlimmer konnte es nicht werden.
    »Daddy, du bist zu schnell.«
    Henry wurde langsamer und drückte ihre weiche Hand. »Tut mir leid, Schätzchen.«
    »Mummy lässt mich immer Steine sammeln.«
    »Heute haben wir dafür keine Zeit.« Doch dass er im Vergleich zu Beattie schlecht wegkam, wurmte ihn. »Ach, ich bin zu ungeduldig. Nur zu, Lucy. Such dir deine Steine.«
    Ihre warmen Finger entglitten seiner Hand, und sie rannte an den Straßenrand. Grinsend sah er zu, machte sich für sie zum Narren. Wann immer er sie anschaute oder an sie dachte, schmolz er dahin. In der Nacht ihrer Geburt – einer Reihe höllischer Bilder voller Blut und körperlicher Zuckungen, die er nicht verdrängen konnte, wenn er Beattie ansah – war Lucy unmittelbar in seine Hände geglitten, als wollte sie sagen: »Ich gehöre dir, lass mich nie allein.«
    Sie kamen am Fuß des Hügels an. Jetzt am späten Nachmittag war es ruhig im Laden. Lesley, die größere der Frauen, holte die Zeitungsaufsteller herein, während Jean drinnen die Kasse machte. Lucy rannte wieder in die Ecke mit den Puppen, und Henry trat an die Theke.
    Jean blickte auf, ohne zu lächeln. »Mr. MacConnell? Ich hoffe, Sie wollen Ihre Rechnung bezahlen.«
    Henry verstand sich nicht darauf, Leute mit Charme oder Lächeln zu umgarnen, sondern sagte schlicht und mit Würde: »Ich kann im Augenblick nicht bezahlen. Ich möchte unseren Kredit bis zum 30 . April verlängern, dann werde ich die gesamten Schulden begleichen.« Na bitte, das war doch gar nicht so schwer. Warum stellte Beattie sich so an?
    »Nein.«
    Er zuckte zusammen. »Wie bitte?«
    »Ich sagte nein. Es ist bei mir nicht üblich, unzuverlässigen Schuldnern den Kredit zu verlängern. Viele Leute haben finanzielle Schwierigkeiten, Mr. MacConnell
. Echte
Schwierigkeiten. Aber Sie sind die einzige Familie, die mehr verlangt, als wir ihr geben können.«
    Er spürte, wie er zornig wurde. Was meinte sie mit »echt«? Hatte Beattie etwa seine Spielschulden erwähnt? Konnte sie nicht den Mund halten? Dieses dumme junge Ding! Er ballte die Hände zu Fäusten und hätte am liebsten die Vitrine zerschlagen, auf denen sie ruhten, nur um das Splittern des Glases zu hören.
    »Ich sehe, dass Ihnen das nicht gefällt, aber ich kann es nicht ändern. Außer natürlich, Sie zahlen jetzt einen Teil Ihrer Schulden.«
    Henry fasste sich wieder. Er nickte und machte wortlos auf dem Absatz kehrt. Dann ging er in die Ecke, in der Lucy mit großen, runden Augen auf eine Sammlung kleiner Puppen hoch oben im Regal schaute.
    »Daddy, das Baby«, sagte sie.
    Er entdeckte eine winzige Babypuppe, kleiner als seine Hand, die rote Kleidung trug. Seine Tochter blickte ihn flehend an. Er verfluchte sich selbst. Hätte er nicht so viel Geld an Billy verloren – verdammter Billy, er war an allem schuld! –, dann hätte er seinem Kind das kleine Spielzeug kaufen können. Stattdessen …
    Henry schaute sich um. Jean zählte das Geld, Lesley war immer noch draußen. In dieser

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