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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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ist, bin ich sehr einsam.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hoffe, Sie kommen bald wieder.«
    »Nun, das ist einer der Gründe, aus denen ich mit Ihnen sprechen wollte. Ich möchte mich nützlich machen: putzen, vielleicht, oder kochen. Ich kann gut nähen, falls Sie etwas ausgebessert haben müssen.«
    Doris schüttelte den Kopf. »Oh, nein, das mache ich alles selbst. Es hält mich in Form. Und ich habe eigentlich auch kein Geld, um dafür zu bezahlen. Seit Tom gestorben ist, muss ich streng haushalten.«
    Lucy ging jetzt langsam im Zimmer umher und bewunderte den Nippes auf den schimmernden Oberflächen. Beattie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen.
    »Zu schade, dass Sie nicht ein bisschen weiter nördlich wohnen. Meine Cousine Margaret in Lewinford ist Näherin und hat immer mehr Arbeit, als sie bewältigen kann. Sie beschäftigt oft junge Frauen wie Sie.«
    »Lewinford? Wie weit ist das von hier?«
    »Fünfzig Meilen, meine Liebe. Also zu weit. Vor allem mit der Kleinen.« Sie schaute lächelnd zu Lucy. »Sie ist ein hübsches Ding. Wunderschönes rotes Haar.«
    »Sie kommt nach ihrem Vater. Er war schon immer ein gutaussehender Bursche.« Während sie das sagte, fragte sie sich, wo ihre Leidenschaft für Henry geblieben war. Die Zeit, in der sie Herzklopfen bekommen hatte, wenn er sie nur ansah, war lange vorbei.
    Beattie trank ihren Tee so schnell sie konnte. Sie wollte rasch nach Hause, da Doris ihr nicht helfen konnte. Henry durfte nicht herausfinden, dass sie hier gewesen war. Leider hatte Doris zu einer langen Erzählung über ihren Ehemann angesetzt – wie sie sich kennengelernt, wie sie fünfunddreißig gute Jahre miteinander verbracht und sechs Kinder bekommen hatten, die heute über ganz Australien verstreut lebten. Schließlich bot sie an, eine weitere Kanne Tee aufzugießen.
    »Nein, ich muss gehen. Zu Hause ist noch viel zu tun.«
    »Sie müssen morgen wiederkommen. Oder übermorgen. Es war so schön, ein bisschen Gesellschaft zu haben.«
    Beattie wand sich innerlich. »Vielen Dank für die Einladung. Ich komme sicher bald wieder.«
    Doris brachte sie zur Tür und kniete sich vor Lucy, um sich zu verabschieden. Beattie sah neugierig zu, wie die ältere Frau ihre Tochter umarmte und ihr Kleid abtastete. Als sie gerade protestieren wollte, holte Doris eine kleine gläserne Maus hervor. »Ich glaube, die gehört dir nicht, Kleines«, sagte sie freundlich und erhob sich.
    Beatties Gesicht brannte vor Scham. »Lucy! Du hast sie gestohlen! Wie konntest du nur?«
    Das Mädchen wirkte verwirrt. »Sie hat mir gefallen.«
    »Es tut mir so leid, ich …«
    »Ach, das macht doch nichts. Ich habe gesehen, wie sie sie unter dem Kleid versteckt hat, und dachte, ich gebe ihr die Gelegenheit, sie selbst zurückzustellen.« Doris sah Lucy freundlich an. »Du darfst nichts wegnehmen, was anderen Leuten gehört. Jesus sieht dich immer.«
    »Wer ist Jesus?«
    Beattie drehte Lucy zu sich um. »Wir müssen gehen …«
    »Wenn Sie jemanden brauchen, der auf die Kleine aufpasst, bringen Sie sie zu mir. Ich würde mich freuen.«
    Beattie brachte Lucy nach Hause. Hätte sie doch nur auf Henry gehört und nicht versucht, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen.
     
    Sie schafften es durch den Winter, indem sie Müll im Kamin verbrannten, den Tee immer dünner aufgossen und Billy anflehten, die Miete für einen Monat auszusetzen, obwohl es ihre Schulden noch vergrößerte. Billy räumte ihnen bereitwillig Kredit ein. Beattie wusste nicht, ob er nicht ahnte, wie verzweifelt ihre Lage war, oder ob er auf die zusätzlichen Zinsen aus war. Ansonsten war er immer noch Henrys bester Freund. Manchmal konnten sie sich nur Hafermehl, Brot, Milch und Honig leisten. Ihre Kleider saßen zunehmend loser um die Taille, doch Lucy bekam immer genug zu essen. Weil Henry Arbeit hatte, gab es keine staatliche Unterstützung. Leider war das Geld verschwunden, sobald er es in Händen hielt, und er konnte oder wollte die nahende Katastrophe nicht sehen.
    Anderen ging es ja viel schlechter. Einmal war sie mit Lucy von einem Spaziergang nach Hause gekommen. Die Familie von gegenüber – eine hagere, graugesichtige Frau mit weinenden Babys und ein Mann mit verzweifelter Miene – saß auf einer schmutzigen Matratze auf der Straße. Ausgewiesen. Der Mann schaute sie an und rief mit brechender Stimme: »Können Sie uns irgendetwas geben? Meine Kinder haben heute noch nichts gegessen, und wir haben keinen Platz zum Schlafen.« Beattie war

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