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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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wohnt in der ersten Straße links. In dem Haus mit den Rosenbüschen davor.« Er bückte sich und setzte Lucy behutsam ab.
    »Könnten Sie uns hinbringen?«, fragte das Mädchen. »Ich kann nicht mehr laufen.«
    Charlie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Kleines.« Er stand auf und nickte Beattie zu. »Tut mir leid, Missus. Ich bin in Lewinford nicht mehr willkommen. Wollte eigentlich für immer weg. Ich muss jetzt mein Bündel am Bach abholen und mich in Bligh nach Arbeit umsehen.«
    »Nicht willkommen? Was ist denn passiert?«
    »Das werden Sie sicher bald erfahren.« Er lächelte. »Passen Sie gut auf die Kleine auf.« Er fuhr Lucy über den Kopf. »Und du passt auf deine Mum auf.«
    »Das werde ich. Und auf meinen Daddy. Wenn es ihm bessergeht.«
    Charlie wandte sich ab. »Das ist lieb von dir.«
    »Auf Wiedersehen. Und vielen Dank«, rief Beattie ihm nach.
    Er hob die Hand zum Gruß, drehte sich aber nicht um.
     
    Henry entschied, dass er einen Drink brauchte, bevor er nach Hause gehen konnte. Aus einem wurden zwei oder drei, und es war dunkel, als er schließlich heimkehrte – vierundzwanzig Stunden nachdem er aufgebrochen war. Hoffentlich war Lucy noch wach, er vermisste sie schrecklich. Sie war der einzige Grund, aus dem er überhaupt noch nach Hause ging. Auf Beattie mit ihrem vorwurfsvollen Blick, dem leidenden Gesichtsausdruck und der Unfähigkeit, sparsam zu haushalten, hätte er gern verzichtet.
    Er bemerkte sofort, dass kein Licht brannte. Entweder schliefen beide, oder Beattie wollte Geld sparen. Ein Anflug von schlechtem Gewissen, diese Woche blieb so wenig Geld in der Lohntüte. Vielleicht hatte man ihnen den Strom abgestellt.
    Betrunken fummelte er im Dunkeln mit dem Schlüssel herum. Dann endlich war die Tür offen, und er drückte den Schalter. Die nackte Glühbirne über ihm leuchtete auf.
    »Beattie?« Er wusste, dass er nicht laut sein und Lucy aufwecken durfte, aber sie war so schön, wenn sie aufwachte. Warm und verschlafen. Die Schlafzimmertür stand offen. Im Licht, das aus dem Flur hereinfiel, sah er das leere Bett. Dann ging er neugierig in die Küche. Keine Spur von seiner Frau.
    Natürlich, sie war neben Lucy eingeschlafen. Er öffnete die Tür des Kinderzimmers. Leer.
    »Lucy!«, schrie er. Hörte die Angst in seiner Stimme. Wo war sie? Hatte jemand sie mitgenommen? Warum war Beattie nicht hier gewesen, um sie zu beschützen? Er stolperte von einem Zimmer ins andere, ließ überall Licht brennen. Keine Spur von den beiden. Er rannte in den Garten, wo noch seine Hemden auf der Leine hingen, geisterhafte Umrisse in der Dunkelheit.
    »Lucy? Beattie?«
    »Sie sind weg.«
    Als er die Stimme hörte, drehte er sich um. Die alte Frau von nebenan stand in ihrer Hintertür, er hatte sie wohl geweckt. Ihren Namen wusste er nicht.
    »Was soll das heißen?«
    »Sie hat Sie verlassen und das Kind mitgenommen.« Ihre Finger klammerten sich an den Türrahmen. Sie hatte Angst vor ihm.
    Sein Zorn war so groß, dass er sich beinahe erbrochen hätte. Er würgte ihn nieder. Seine Hände fühlten sich schwer an, in seinen Ohren rauschte es. »Wo ist sie hin?«
    »Wenn sie wollte, dass Sie es erfahren, hätte sie Ihnen wohl eine Nachricht hinterlassen.« Das Gesicht der Frau wirkte streng. Wie das eines Raubvogels. Dennoch wich sie vor seiner donnernden Stimme zurück. »Ich habe sie heute Morgen an der Bushaltestelle gesehen. Sie hat mir alles über Sie erzählt.«
    »Sie weiß gar nichts über mich«, murmelte er und stapfte davon.
    »Der Herr gibt Ihnen eine Chance«, rief sie ihm nun, da er in sicherer Entfernung war, hinterher. »Er will Ihnen damit sagen, Sie sollen mit dem Trinken und Spielen aufhören.«
    Henry knallte die Tür hinter sich zu und sank auf einen Stuhl am verlassenen Küchentisch. Das Schweigen lastete schwer auf ihm. Ein kleines Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Dann legte er den Kopf auf den Tisch und horchte auf den dumpfen Schlag seines Herzens.

[home]
    Elf
    B eattie hob Lucy mit einer Hand auf ihre Hüfte. Unter dem anderen Arm trug sie noch immer den durchweichten Pappkarton. Sie ging los, die von Schlaglöchern übersäte Straße entlang, vorbei am Pub, das aus großen, rohbehauenen Ziegelsteinen errichtet und mit einem roten Wellblechdach versehen war. Vorbei an einem Lebensmittelgeschäft, einem Postamt, einem gemauerten Torbogen. Vorbei an einer Bäckerei, einer Bank, einem Laden für gebrauchte Möbel und einigen Häusern. Manche waren aus Holz gebaut, andere aus

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