Der Wind der Erinnerung
Stein, alle hatten schräg abfallende Dächer aus Blech. Sie bog in die erste Straße auf der linken Seite, wie Charlie es ihr erklärt hatte, und fand Margarets Haus sofort. Blassgelbes Holz, ein gepflasterter Weg durch den Vorgarten, üppige Rosenbüsche. Was, wenn Margaret sie nun doch nicht aufnahm? Es begann wieder zu nieseln. Sie marschierte zur Haustür, die im Schutz der Veranda lag, und klopfte entschlossen an.
Kurz darauf öffnete eine rundliche Frau. Sie war viel jünger, als Beattie vermutet hatte – höchstens Ende dreißig –, und hatte ein hübsches Gesicht.
»Oh! Sie sind ja pudelnass!«, sagte Margaret und machte die Tür weiter auf. »Das Kind auch. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich komme aus Hobart. Ich war eine Nachbarin von Doris Penny. Sie hat gesagt …«
»Kommen Sie rein, kommen Sie rein. Haben Sie etwas Trockenes zum Anziehen? Sonst kann ich Ihnen etwas leihen. Soll ich für das Mädchen ein warmes Bad einlassen? Was ist denn passiert?«
Beattie war sprachlos. Margarets Freundlichkeit war einfach zu viel für sie. Als sie über die Schwelle trat, brach endgültig der Boden aus dem Karton, und ein Haufen nasser Kleider fiel auf den Boden. Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Es tut mir leid. Aber es war ein langer Tag.«
»Kommen Sie herein, ruhen Sie sich aus.« Margaret bückte sich und half ihr, die Sachen aufzusammeln. »Ich werde Ihnen helfen.«
Margarets Haus war, genau wie das von Doris, sauber und überfüllt. Weiche Polstermöbel, Nippes, Gemälde, sogar eine Nähmaschine. An der Wand hingen ein Kreuz, Bilder von Jesus und Maria, Bibelverse waren mit Kreuzstich auf Kissenhüllen gestickt. Während Margaret geschäftig hin und her lief, folgte Beattie ihr von einem Zimmer ins nächste und berichtete von ihrer Reise und dem Gewitter. Lucy war still, die Erschöpfung hatte sie übermannt. Margaret nahm beide mit ins Badezimmer und ließ warmes Wasser in die Wanne.
»Ich nehme an, Sie können auch ein Bad vertragen.«
»Wir sollten lieber über …«
»Vor allem müssen wir Sie jetzt erst mal beide sauber, trocken und satt bekommen. Wir unterhalten uns, wenn das Kind schläft. Heute Abend werden Sie dieses Haus jedenfalls nicht mehr verlassen. Ich habe ein Gästezimmer.«
Margaret ließ sie allein, und Beattie stieg dankbar zusammen mit Lucy ins warme Badewasser. Die Hitze löste die Verspannungen in ihren Muskeln. Sie drückte das Mädchen mit dem Rücken an ihre Brust. Die Wirbelsäule der Kleinen trat hervor; sie hatte gar nicht gemerkt, wie dünn sie geworden war. Ein wunderbares Gefühl der Erleichterung, der Gewissheit, das Richtige getan zu haben, durchflutete sie. Sie küsste Lucys nasse Haare.
»Ich hab dich lieb, mein Mädchen.«
»Wann sehen wir Daddy wieder?«
»Zuerst müssen wir uns hier einleben. Du musst ein bisschen Geduld haben.«
Lucy ließ sich gegen sie fallen, zu müde, um zu weinen. Beattie fragte sich, wie lange die Kleine brauchen würde, bis das Bild ihres Vaters verblasste oder sie wenigstens vergaß, wie wahnsinnig sie ihn liebte.
Später saß Beattie sauber, trocken, in Kleidern von Margaret, die ihr viel zu groß waren, und mit einem Teller Hammeleintopf im Bauch auf dem Sofa. Margaret hatte gegenüber in einem Ohrensessel Platz genommen. Lucy lag auf Beatties Schoß, und sie strich ihr das Haar aus der weichen weißen Stirn, während das Mädchen allmählich eindämmerte. Auch sie selbst war erschöpft und konnte kaum noch die Augen offen halten. Margaret hatte ihr aber noch nicht das Zimmer gezeigt, und außerdem hatten sie wichtige Dinge zu besprechen.
»Und wie geht es Doris? Ist sie wohlauf?« Margaret griff zu Stickrahmen und Nadel.
»Ja.« Beattie juckte es in den Fingern, sie hätte auch gern Handarbeiten gemacht. Es beruhigte die Nerven. »Haben Sie noch einen?«
Margaret lächelte und schob ihr einen Korb voller Stoffstücke und Garn hinüber. Beattie wählte ein Stückchen aus, dazu roten Faden und eine Nadel, und begann zu sticken. Lucy atmete leise in ihrem Schoß. »Doris hat gesagt, Sie hätten vielleicht Arbeit für mich, damit ich mir meine Unterkunft verdienen kann.«
»Ich habe immer Arbeit. Ich nähe und stopfe Kleider. Es gibt viel zu tun. Wenn Sie mir helfen, können Sie gern hier wohnen. Aber Sie müssen etwas zur Verpflegung beitragen, vor allem, da Sie die Kleine bei sich haben. Sie können die staatliche Hilfe beantragen, allerdings müssen Sie dafür zwanzig Meilen in die nächste Stadt fahren.«
»Gibt es
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