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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Dummheiten, deine Kinder brauchen dich! Und wir im Dezernat …«
    Meine Worte verhallten, es kam keine Antwort. Ich spähte durch den Briefschlitz, sah aber nur einen Haufen Reklamesen-dungen und ein Stück abgetretenes, graues Linoleum.
    Vergeblich versuchte ich, den Arm durch den Briefschlitz zu schieben, um die Tür zu öffnen. Der Pulvergeruch, der mir entgegenwehte, war unverkennbar.
    »Habt ihr es über den Balkon versucht?«, fragte ich und wunderte mich, dass meine Stimme kaum zitterte. Von draußen hörte man Sirenengeheul, offenbar war jemand auf die Idee gekommen, einen Krankenwagen anzufordern.
    »Schwierig. Ström hat die Eckwohnung. Und das Türschloss aufzuschießen ist zu riskant.«
    »Grundriss?«
    »Bringt der Hausmeister mit, aber der Nachbar von unten hat uns schon informiert. Die Wohnungen sind alle gleich. Vom Flur geht die Toilette ab, links ist die Küche, rechts das einzige Zimmer.«
    »Habt ihr einen Schraubenzieher? Wir könnten das Schloss abschrauben. Und wieso soll es gefährlich sein zu schießen? Gib mir deine Waffe, wenn du dich nicht traust.«
    Ich wollte so schnell wie möglich in die Wohnung. Vielleicht war Ström nur verletzt, vielleicht konnte man ihn noch retten.
    Jede Sekunde zählte.
    »Der Hausmeister muss gleich hier sein, er hat sein Büro ganz in der Nähe. Wir können nicht schießen, du kennst Ström doch.
    Wenn er durchgedreht ist und besoffen herumballert, kann er einen von uns treffen.«
    »Ich glaube nicht, dass er das tut. Hol wenigstens einen Schraubenzieher!«
    Mit schleppendem Schritt kam der Hausmeister die Treppe herauf und steckte wortlos den Generalschlüssel ins Schloss.
    Pertsa hatte oft über die Dummheit der Leute geschimpft, die ihr Eigentum nicht schützten, aber auch er hatte weder das Patent-schloss benutzt noch die Sicherheitskette vorgelegt. Die Tür ging mühelos auf, ich stürmte hinein, obwohl ich das, was mich in der Wohnung erwartete, eigentlich nicht sehen wollte.
    Im Flur waberte immer noch Pulverdampf. Pertsa lag im Wohnschlafzimmer, halb auf dem Sofa, halb auf dem Fußboden.
    Der blutige Mund stand offen, die Hälfte des Hinterkopfes war auf die Sofalehne gespritzt, eine unleserliche Karte seines Geistes.
    »Gib mir Handschuhe«, flüsterte ich Haikala zu. Ich streifte sie über, trat hinter das Sofa und tastete am schlaff herabhängenden linken Arm nach dem Puls. Natürlich fühlte ich keinen, auch am Hals nicht.
    »Der Kerl hat genau gewusst, wohin er schießen muss, um sicherzugehen«, sagte ich zu mir selbst. Ström hatte eine unfehlbar tödliche Kugel verwendet, die ihm den Kopf fast weggesprengt hatte. Offenbar hatte er durch den Gaumen auf den Hinterkopf gezielt, damit das Gesicht einigermaßen unversehrt blieb. Seine bierbraunen Augen standen offen, die großen Poren zeichneten sein Gesicht, das bald jede Farbe verlieren würde. Noch war die Zeit nicht gekommen, ihm die Augen zu schließen und das Blut vom Kinn zu wischen.
    »Fordert die Techniker und den Fotografen an«, befahl ich und trat vorsichtig von der Leiche zurück.
    Ich war völlig ruhig. Bald würde die Routine einsetzen, eine großartige Untersuchung war nicht nötig, denn es handelte sich eindeutig um Selbstmord. Pertsa hielt die Beretta in der rechten Hand, die Schmauchspuren würden mit Sicherheit übereinstim-men. Vor seiner Tat hatte er eine Halbliterflasche Schnaps fast leer getrunken. Sie lag zu seinen Füßen auf dem Teppich, offenbar hatte er sie umgestoßen, als er nach dem Schuss vom Sofa gesackt war.
    Meine Augen registrierten die Einzelheiten so routiniert wie an jedem anderen Tatort. Das Zimmer war spärlich möbliert und, von dem übervollen Aschenbecher abgesehen, peinlich sauber.
    Fernseher und Video standen so, dass man vom Sofa aus die beste Sicht hatte. Der Esstisch und die beiden Stühle, zierliche Korbmöbel, passten nicht zu Pertsa. Sicher hatte er die erstbeste Esszimmergarnitur gekauft, die billig zu haben war. Auf dem Sofatisch lagen die neueste Ausgabe der Zeitschrift »Polizei und Justiz« und ein halb ausgefüllter Lottoschein. Das Doppelbett im Alkoven war so sorgfältig gemacht, dass es beim strengsten Stubenappell durchgegangen wäre.
    Obwohl ich glaubte, meine fünf Sinne beisammen zu haben, hätte ich nicht sagen können, wie lange es dauerte, bis die Techniker eintrafen. Ich streifte den Schuhschutz über, zog eine Schutzjacke an und steckte die Haare unter eine Art Duschhau-be. Der Fotograf trat in Aktion, die Sanitäter erklärten

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