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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Trauer war leichter zu tragen. Das hatten wir vor zwei Jahren bei der Beerdigung unseres Kollegen Juhani Palo erlebt. Ich musste daran denken, wie Pertsa und ich in einer Ecke gestanden, uns über die steifen Ansprachen der Chefs mokiert und an Palo gedacht hatten. Die Erinnerung daran trieb mir die Tränen in die Augen. Ich erinnerte mich auch daran, wie Pertsa in der Kirche neben mir gesessen und während der Predigt versucht hatte, sein heftiges Schlucken zu verbergen.
    Da saß ich nun und weinte, obwohl Pertsa in seinem Abschiedsbrief bezweifelt hatte, dass ihm jemand nachtrauern würde. Ich hatte Lähdes Gesicht gesehen, als Pertsas Sachen aus dem gemeinsamen Dienstzimmer entfernt worden waren, und auch diese Erinnerung schmerzte. Nicht einmal Puupponen und Koivu, die Pertsa inbrünstig gehasst hatten, kamen über seinen Tod leicht hinweg, denn sie verstanden nur allzu gut, warum er sich das Leben genommen hatte. Und wenn man es verstand, war es schwer, es nicht zu akzeptieren. Die größte Bürde hatte Lähde zu tragen. Er würde wieder und wieder darüber grübeln, ob er Pertsa bei seinem letzten Telefonat nicht doch noch von seinem Entschluss hätte abbringen können. Ich war dankbar, dass Pertsa nicht mich angerufen hatte. Auch wenn es fast unmöglich war, einen Menschen, der fest entschlossen ist, sich das Leben zu nehmen, noch einmal umzustimmen, hatte jeder die moralische Pflicht, es bis zuletzt zu versuchen. Ich aber traute meinen Überredungskünsten nicht mehr. Kurz vor dem Mutterschaftsurlaub hatte ich versucht, eine bewaffnete Frau davon abzubringen, ihren ehemaligen Geliebten zu erschießen, der als Mörder ihrer Tochter verdächtigt wurde. Es war mir nicht gelungen, sie hatte den Mann, der sich letzten Endes als unschuldig erwiesen hatte, kaltblütig abgeschlachtet. Die Erinnerung daran verfolgte mich immer noch, obwohl ich als Polizistin darauf trainiert war, Fehlschläge abzuhaken. Ich fürchtete mich davor, in einer ähnlichen Situation erneut zu versagen.
    Antti sah mein tränennasses Gesicht, zog mich an sich und sagte glücklicherweise kein Wort. Der Sturm war abgezogen, die Sonne hatte ihre Herrschaft wieder angetreten und ließ die Bäume hell aufleuchten. Wir brachten den ganzen Tag damit zu, das Laub zusammenzurechen und uns darin zu wälzen. Man konnte einfach nicht traurig sein, wenn man Iidas blaugrüne Augen zwischen den roten Ahornblättern funkeln sah.
    Am Montagmorgen holte mich der Alltag ein. Auf meinem Schreibtisch türmten sich die Faxe, und das Wochenende hatte uns neue Arbeit beschert. Jemand war krankenhausreif geprügelt worden, in Soukka hatte es eine Messerstecherei und in Kilo eine Schießerei gegeben. Erfreulicherweise enthielt wenigstens das obenauf liegende Fax von der estnischen Polizei eine gute Nachricht: Die vermisste Betriebswirtin und ihr Toomas waren bei einer Razzia im teuersten Nachtclub von Pärnu aufgegriffen worden. Die Frau war zwar über das abrupte Ende ihres Liebes-urlaubs aufgebracht, ansonsten aber wohlauf.
    Bei der Morgenbesprechung wurde diese Nachricht mit Pfiffen und Gejohle quittiert, doch die Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt.
    Wahrscheinlich versuchten wir verzweifelt, so zu tun, als hätte Pertsa nie existiert. Nach seiner Suspendierung hatte ich seine Fälle unter den Kollegen verteilt, doch die Schießerei in Kilo wäre automatisch ihm zugefallen, weil Ström unser Experte für Schusswaffen gewesen war. Ich fragte mich, ob die Mitarbeiter der Merivaara AG ebenfalls versuchten, mechanisch weiterzu-machen, um nicht daran zu denken, dass ihr Geschäftsführer ermordet worden war und seine Frau, die PR-Chefin, zu den Hauptverdächtigen zählte.
    »Koivu, hast du Harri Immonens Computer bekommen?«, fragte ich, als wir endlich zum Fall Merivaara kamen.
    »Ja, allerdings behauptet Sjöberg, es wären nur seine eigenen Reisedaten drauf. Er hätte Immonens Dateien sowohl von der Festplatte als auch von den Disketten gelöscht. Die Disketten hab ich gecheckt, hat mich den halben Abend gekostet.«
    »Wo ist das Ding jetzt?«
    »Ich hab es mit den Disketten bei den Computerexperten im Wirtschaftsdezernat abgeliefert, wie du gesagt hattest. Sjöberg behauptet zwar, er hätte die Festplatte neu formatiert, aber vielleicht findet sich doch noch was.« Koivu zuckte mit den Schultern, er war kein Computerfreak.
    »Wie hat Sjöberg reagiert, als du den Laptop geholt hast?«
    »Verwundert. Außer Immonens Bericht über die Vogelwelt von Rödskär wäre nichts

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