Der Wind über den Klippen
Halonen und ich haben uns oft darüber gewundert, denn in den letzten Jahren konnte die Merivaara AG Dividenden ausschütten. Die Mare Nostrum hat ihren Anteil jedoch nie beansprucht.«
»Im Gegensatz zu Finanzdirektor Halonen und Anne Merivaara wissen Sie also immerhin, wer die Aktionäre der Mare Nostrum sind.« Offenbar war meine Stimme scharf geworden, denn Paula Saarnio warf mir einen verwunderten Blick zu.
»Ja. Obwohl der Aktienverkauf getätigt wurde, bevor ich ins Haus kam. Nach einem weinseligen Abend ist Juha einmal etwas entschlüpft, was er mir unter normalen Umständen wohl nicht anvertraut hätte. Zuvor hatte er mit Anne einigen Kunden einen Vortrag über die ökologischen Prinzipien des Unternehmens gehalten, danach gab es ein ausgiebiges Geschäftsessen.
Anne hatte Fieber und ist früher nach Hause gegangen. Nachdem alle weg waren, hat Juha mich gebeten, zum Schluss die letzte Sektflasche mit ihm zu leeren. Er brachte einen Toast auf die grandiose Show aus und meinte lachend, was die Kunden wohl für ein Gesicht machen würden, wenn sie wüssten, dass die ganze Ökolinie mit Geldern aus Geschäften mit weniger respektablen Lacken finanziert wurde. Dann erschrak er und erklärte hastig, er spreche natürlich von der Zeit seines Vaters.«
Paula Saarnio lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander. Die Bügelfalten ihrer Nadelstreifenhose waren messerscharf.
»Was meinte er damit?«
»Nun, die Bootslacke, die die Firma zu Martti Merivaaras Zeit herstellte, enthielten reichlich Blei, das ja damals allgemein verwendet wurde, um die Außenwände der Boote sauber zu halten. Ich hätte Juha wahrscheinlich geglaubt, wenn nicht gerade in dem Moment ein Fax gekommen wäre, das ich kurz überflog, bevor ich es an ihn weiterreichte. Ramanauskas kündigte darin die nächste Lieferung für Samstag an. Als Juha merkte, dass ich ein Fax gelesen hatte, das nicht für meine Augen bestimmt war, dachte er lange nach. Offenbar wusste er nicht, wie er mir die Sache erklären sollte. Schließlich sagte er, es handle sich um den Geschäftsabschluss einer Teilhaberfirma, und er werde nun bald in der Lage sein, die Merivaara-Aktien von der Mare Nostrum zurückzukaufen. Da kam mir zum ersten Mal der Verdacht, die Aktien könnten in betrügerischer Absicht verkauft worden sein.«
Ich runzelte die Stirn und wünschte, Kantelinen säße neben mir.
»In betrügerischer Absicht? Wieso?«
»Anfang des Jahrzehnts brauchte die Firma zusätzliches Kapital, aber Juha wollte die Aktien bekanntlich nicht an Außenstehende verkaufen. Vielleicht war die Mare Nostrum eine Scheinfirma, und Peders und Ramanauskas haben für etwas ganz anderes bezahlt als für Aktien.«
Im selben Moment ging die Tür zum Chefzimmer auf. Anne Merivaara geleitete einen grauhaarigen Herrn im gediegenen Maßanzug und mit einer großen goldenen Uhr am Handgelenk hinaus. Sie sah verweint aus.
»Einen Augenblick noch«, flüsterte sie mir zu und bat Paula Saarnio, Rechtsanwalt Heikkilä zum Ausgang zu begleiten. Ich hoffte, sie würde vor ihrer Chefin zurückkommen, doch Anne brauchte nur eine Minute, um sich frisch zu machen und die Tränenspuren verschwinden zu lassen.
»Entschuldige bitte, dass du warten musstest. Gibt es etwas Neues?«
»Eine ganze Menge. Zum Beispiel kennen wir jetzt die Aktionäre der Mare Nostrum. Hauptaktionär war dein Mann. Willst du immer noch behaupten, du hättest von dem Arrangement nichts gewusst?«
»Ja, das behaupte ich.« Anne bemühte sich um einen resoluten Ton, obwohl es in ihrem Gesicht zuckte. »Offenbar gibt es vieles, was ich nicht gewusst habe. Zum Beispiel ist das Boot voll bezahlt, obwohl Juha vorgab, er hätte es auf Kredit gekauft, und letzten Herbst, nach seinem ersten Infarkt, hat er die höchste Lebensversicherung abgeschlossen, die er bei seinem Gesund-heitszustand bekommen konnte. Als hätte er seinen baldigen Tod vorausgeahnt.«
»Läuft denn die Yacht auf Juhas Namen und nicht auf die Firma?«, fragte ich rasch, denn ihr stiegen wieder Tränen in die Augen.
»Auf meinen Namen, und ich verstehe nicht, wovon Juha sie bezahlt hat. Eigentlich hatten wir noch nicht …«
»Vermutlich ist vieles in diesem Haus anders, als du geglaubt hast. Was hast du vor, wirst du die Firma verkaufen?«
»Ich weiß es nicht. An sich würde ich gern verkaufen, aber wenn Riikka und Jiri ihre Aktien behalten wollen, was dann?
Juha hätte gewollt, dass wir die Firma behalten, deshalb hat er ja die
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