Der Wind über den Klippen
Miesmuscheln ernähren. Die Halbwertszeit des Stoffes im Wasser beträgt rund drei Monate.«
Der nächste Fluch lag mir auf der Zunge. Wenn ich nur wüss-te, wie dringend das Problem war. Jiri hatte mir von den Farbtonnen berichtet. Konnten einige Fässer Tributylzinn im Wasser bleibende Schäden verursachen?
Ich bat Niinimaa, die Untersuchungen zu beschleunigen, dachte an die tote Eiderente und an die Dateien auf Harris Laptop. Ein kostspieliger Tauchereinsatz auf Rödskär kam erst infrage, wenn ich wusste, wo das Gift ins Meer gekippt worden war.
Ich rief Mikke Sjöberg an, wieder erfolglos. Der Ermittler, der sich mit Harris Computer herumschlug, meldete sich dagegen, wenn auch verärgert und abgehetzt.
»Es dauert noch eine Weile. Der jetzige Besitzer sagt doch, er hätte die Festplatte neu formatiert. Ich kann nicht versprechen, dass sich die vor der Umformatierung gespeicherten Dateien retten lassen, aber ich tue mein Bestes. Nur liegt hier noch einiges andere an, unter anderem muss ich mich mit den Hackern befassen, die in das Computersystem der Merita-Bank eingedrungen sind.«
»Ich weiß«, sagte ich ohne Mitgefühl. Wir alle schufteten mit letzter Kraft. Mir war längst klar geworden, dass ich niemanden nach Åland mitnehmen konnte, denn alle Kollegen waren bis über die Ohren mit Arbeit eingedeckt. Wenn ich Zeugen für eine offizielle Vernehmung brauchte, würde ich mich an die Polizei in Degerby wenden müssen.
Ich delegierte die Leitung der Morgenbesprechung an Lähde und bat ihn, die Kollegen zu fragen, wer sich als Sargträger für Pertsas Beerdigung zur Verfügung stellte. Wir hatten immer ein ausgesprochen steifes Verhältnis zueinander gehabt, denn Lähde war Pertsas Vertrauter gewesen und hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass seiner Meinung nach die falsche Person zur Dezernatsleiterin ernannt worden war. Deshalb überraschte mich seine Reaktion:
»Sargträger, soso. Ich weiß, was Ström dazu gesagt hätte.«
»Was denn?«
»Nehmt die verdammte Emanze, die brennt doch darauf, Männerarbeit zu tun«, sagte Lähde, und in seiner Stimme lag nichts als Trauer.
»Mir soll’s recht sein, falls jemand bereit ist, auf der anderen Seite mit gebeugten Knien zu gehen«, sagte ich und flüchtete mich in mein Büro. Schon im Flur hörte ich das Telefon, ich schaffte es gerade noch, den Hörer abzunehmen, bevor der Anrufer auflegte.
»Puustjärvi hier. Ich hab den Vogelkadaver gefunden.«
»Prima! Wo?«
»Im Institut für Veterinärmedizin und Lebensmittelhygiene.
Aber er ist eines natürlichen Todes gestorben.«
Seltsamerweise war ich enttäuscht, statt mich zu freuen, dass Juha Merivaara keine Umweltkatastrophe herbeigeführt hatte.
»Aber hier liegt noch ein anderes totes Viech von Immonen«, fuhr Puustjärvi fort. »Ein prächtiger Lachs. Er hat irgendwelche Veränderungen an der Leber, im Blutkreislauf und an den Augen. Das kommt von einem chemischen Stoff namens …«
»Ich weiß«, sagte ich. »Tributylzinn.«
Siebzehn
Es war dunkel, als die Maschine abhob. Um halb sieben war ich ins Taxi gestiegen und hatte Antti und Iida schlafend zurückge-lassen. Das Thermometer hatte fünf Grad minus angezeigt: Der Winter kam zeitig.
Am Vortag war ich ungewöhnlich früh nach Hause gekommen, hatte aber fast den ganzen Abend dienstliche Telefonate führen müssen. Iida, die mit mir spielen wollte, hatte mir quengelnd am Hosenbein gehangen, während ich versuchte, aus dem rudimentären Englisch meines korsischen Kollegen schlau zu werden. Die Herren Peders und Ramanauskas waren sehr aufgebracht gewesen, als man sie zur Vernehmung auf die Polizeistation von Calvi gebeten hatte. Ja, sie seien Teilhaber eines Unternehmens namens Mare Nostrum, das wiederum Aktionär der Merivaara AG war, doch das sei kein Verbrechen.
Über Juha Merivaaras Tod waren sie sehr erschüttert. Ihrer Aussage nach war die Mare Nostrum gegründet worden, um finnische Lacke in die baltischen Länder zu exportieren, doch die Ausfuhr hatte sich nicht so gut entwickelt wie erwartet. In den letzten Jahren hatte die Firma nur noch auf dem Papier existiert, und Juha Merivaara hatte den Litauern angeboten, ihre Aktien zu übernehmen. Man hatte sich darauf geeinigt, die Transaktion durchzuführen, wenn die beiden Männer das nächste Mal nach Finnland kamen.
Daraufhin hatte die korsische Polizei Peders und Ramanauskas gehen lassen, denn am Samstag, dem 4. Oktober, hatten sie mit französischen und monegassischen Freunden in
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