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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Lebensversicherung abgeschlossen. Ich habe Mikke gebeten, die Geschäftsführung zu übernehmen, obwohl ich schon im Voraus wusste, dass er ablehnen würde. Heikki Halonen wäre interessiert, aber ihm traue ich nicht mehr über den Weg.«
    »Was würdest du selbst denn gern tun?«
    Anne lächelte müde.
    »Ich komme kaum dazu, an die Zukunft zu denken, ich bin schon froh, wenn ich den nächsten Tag glimpflich überstehe.
    Seija und ich haben gelegentlich überlegt, auf Rödskär ein Kurszentrum aufzumachen. Seija könnte Kurse über ihre Steine halten, eine Freundin von mir würde Lehrgänge über Rohkost anbieten und so weiter. Das Inselmilieu ist so inspirierend. Man könnte auch Meditationswochenenden veranstalten. Ich glaube nicht an die negativen Energien, von denen Seija spricht. Schon der Gedanke an die Insel schenkt mir inneren Frieden, daran hat selbst Juhas Tod nichts geändert.«
    Ich nahm ein zweites Stück Quiche und aß nachdenklich einen Bissen nach dem anderen. Eine Krähe flog an dem großen Fenster vorbei, bei der Bewegung fuhr Anne zusammen. Ich steckte die Hand in die Hosentasche und betastete den Granit von Rödskär und den Amazonit, den Seija Saarela mir gegeben hatte, doch die Steine machten mir die nächste Frage nicht leichter.
    »Du hast befürchtet, Juha könnte Harri Immonen getötet haben
    – oder hast du es sogar gewusst?«
    »Nein!« Anne zuckte so heftig zusammen, dass das überge-schlagene Bein an den Tisch stieß. Die Teetassen klirrten.
    »Ich hatte einfach nur Angst, dass jemand von uns von den Klippen stürzt und stirbt wie Harri.«
    Ich glaubte ihr nicht. Daher bat ich sie, mir zu berichten, wie sie und ihr Mann Harris Leiche gefunden hatten. Zunächst sträubte sie sich, sagte, ich hätte die Vernehmungsprotokolle gelesen und wüsste doch ohnehin Bescheid. Die Erinnerung sei zu schmerzhaft für sie. Es widerstrebte mir, sie mit der Drohung unter Druck zu setzen, das Gespräch vor Zeugen und bei laufendem Tonband auf dem Präsidium fortzusetzen. Zum Glück genügte ein dezenter Hinweis in dieser Richtung, um sie zum Reden zu bringen.
    Juha war damals früh am Morgen aus Tallinn gekommen und hatte gesagt, er sei müde von den anstrengenden Verhandlungen. Anne hatte seine roten Augen und zitternden Hände auf übermäßigen Alkoholgenuss zurückgeführt und vorgeschlagen, auf den Ausflug nach Rödskär zu verzichten und ihren Geburtstag zu Hause zu feiern. Aber Juha hatte unbedingt auf die Insel gewollt. Schließlich hatte Anne unter der Bedingung zugestimmt, dass sie das Boot steuerte. Auch davon hatte er nichts hören wollen, sie hatte tausend Ängste ausgestanden, denn er hatte in einem Tempo auf Rödskär zugehalten, als säßen ihm die Seeungeheuer im Nacken.
    Am Bootssteg war ihnen noch nichts aufgefallen. Erst als sie in der Wohnküche Harris Sachen entdeckt hatten, waren sie stutzig geworden. Juha hatte geschimpft: Harri hätte doch wissen müssen, dass sie an diesem Wochenende ungestört sein wollten. Zuerst hatten sie im Haus nach ihm gerufen, dann waren sie zu den Felsen gegangen. Dort hatte Juha die Leiche entdeckt und einen erfolglosen Wiederbelebungsversuch gemacht. Anne war dankbar gewesen, dass er sie fortgeschickt hatte, um ihr den Anblick des Toten zu ersparen.
    »Ich muss unter Schock gestanden haben, ich war zu nichts fähig, saß nur auf einem Felsbrocken und starrte vor mich hin.
    Juha hat die Polizei alarmiert und die Leiche zugedeckt.«
    »Wie hat er auf den Fund reagiert?«
    »Ich weiß es nicht, ich war ja so durcheinander. Zumindest war er fähig, rational zu handeln. Einmal, als wir gerade erst verlobt waren, sagte er, er fürchtet sich nicht vor Toten, weil er als Kind das langsame, qualvolle Sterben seiner Mutter miterlebt hat. Als das Ende kam, sei es für alle eine Erleichterung gewesen. Allerdings glaube ich nicht, dass er es so leicht genommen hat. Unmittelbar vor Harris Beerdigung hatte er seinen ersten Herzinfarkt.«
    Wie clever von Juha, dafür zu sorgen, dass er selbst den Toten fand, noch dazu in Anwesenheit einer Zeugin. Der Wiederbelebungsversuch hätte als Erklärung herhalten können, falls an der Leiche Fasern, Haare oder Ähnliches gefunden worden wären.
    Danach hatte die Polizei allerdings gar nicht erst gesucht.
    »War Juha allein in Tallinn? Mit wem hat er dort verhandelt?«
    Anne wusste es nicht, sie meinte, das müsse ich Paula Saarnio fragen. Im Stillen fluchte ich: Die Reise lag mehr als ein Jahr zurück, die Passagierliste war

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