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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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daneben eine Dose für das Geld. Ich warf ein Fünfmarkstück hinein, nahm eine Kerze und riss ein Streichholz an. Dabei überlegte ich, was Pertsa sagen würde, wenn er wüsste, dass ich für ihn eine Kerze aufstellte. Es hätte ihm wohl nicht behagt, aber seiner eigenen Überzeugung nach war er jenseits allen Bewusstseins. Der Gedanke bereitete mir einen fast körperlichen Schmerz, ich war sekundenlang versucht, die Hand in die Flamme zu halten, um die eine Qual durch eine andere zu betäuben.
    Da verstummte die Orgel. Ich hörte ein Poltern auf der Empo-re, dann Katrina Sjöbergs Stimme:
    »Grüß dich, du hast also hergefunden.«
    Gleich darauf kam sie herunter. Der Druck ihrer stark geäderten Hand war fest, die Haut hatte die Sommerbräune noch nicht ganz verloren. Sie trug einen dicken Pullover, eine verblichene schwarze Samthose und schwere Stiefel. Eine Öljacke hing ihr über dem Arm.
    »Herzlich willkommen auf Föglö. Warst du schon einmal auf Åland?«
    »Nur auf der Hauptinsel, in dieser Gegend war ich noch nie.
    Bist du neben allem anderen auch noch Kantorin?«
    »Der reguläre Kantor ist krank, ich springe für ihn ein. Also, gehen wir. Die Kerze musst du leider löschen. Die Feuerschutz-vorschriften, weißt du.«
    Ich blies die Flamme vorsichtig aus. Nur ein hartnäckiger Rauchkringel blieb zurück. Als die Kirchentür hinter uns zufiel, fragte ich mich, an welche Art von Gott Katrina glaubte. Vergab er auch die schwersten Sünden, sogar Mord?
    Da mir kein Gesprächsstoff einfiel, fragte ich nach dem Grabstein der Sjöbergs, den ich gesehen hatte.
    »Ja, das sind entfernte Verwandte, aber unser eigentliches Familiengrab ist dort hinten. Möchtest du es sehen?«
    »Warum nicht? Wird Juha auch hier beerdigt?«
    »Nein, er wird eingeäschert. Aber für mich und für Mikke sind hier Plätze reserviert.« Sie führte mich zu der Steinmauer am schattigen Rand des Friedhofs. Der größte Grabstein der Sjöbergs maß anderthalb auf zwei Meter, daneben standen zwei kleinere, von denen einer die Namen des Gründers der Merivaara AG, Mikael Johan, und seines Sohnes Martti trug. Auf dem großen Grabstein prangten ein Segelschiff und ein Anker, hier ruhten ein Kapitän und ein Lotse, Johan und Daniel Sjöberg.
    »Daniel war mein Großvater, Johan der Großvater von Martti.
    Erland und Ida waren meine Eltern, neben ihnen werde ich eines Tages ruhen. Auf dem Stein ist noch Platz«, sagte Katrina ruhig.
    Herbstrosen blühten vor dem großen Stein, bald würde die Kälte auch ihre Blätter schwarz färben.
    »Hier liegen viele Generationen von starrköpfigen Männern, die sich nie an die Gesetze anderer gehalten haben. Wir Sjöbergs haben wohl zu lange auf dieser Insel gelebt, in unserem eigenen Reich. Johan, der Kapitän, hat in der Zeit der russischen Unterdrückung um die Jahrhundertwende Waffen nach Finnland geschmuggelt, während Daniel, der Lotse, bei Schnapsschmugg-lern beide Augen zudrückte. Wo habt ihr denn euer Grab?«
    Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, wo ich einmal beerdigt werden würde. Die Kallios hatten kein Familiengrab, das der Sarkelas lag in Wiburg, das nicht mehr zu Finnland gehörte.
    »Danach pflegt man junge Leute wohl nicht zu fragen«, lä-
    chelte Katrina. »Ich finde es tröstlich zu wissen, wo meine Knochen liegen werden, vor allem, da ich mir nicht sicher bin, wohin meine Seele gerät.« Sie bückte sich, um ein paar Ahornblätter aufzuheben. »Mein Haus liegt anderthalb Kilometer von hier. Passt mein Fahrrad in deinen Wagen?«
    Wir verstauten Katrinas Mountainbike im Kofferraum des Mietwagens. Die Straße machte einen Schlenker von der Küste weg, nach zweihundert Metern ging eine schmale, steinige Nebenstraße in nordöstlicher Richtung ab. Sie endete vor einem zweistöckigen, rot gestrichenen Holzhaus, nur hundert Meter vom Ufer entfernt, doch durch eine Felswand und Bäume vor dem Seewind geschützt.
    »Mattsboda, das Haus meiner Mutter. Sie war auch eine Sjöberg. In unserer Familie hat es zu viel Inzucht gegeben.«
    Als Katrina ihr Rad aus dem Kofferraum hob, fiel mir auf, dass sie sich genauso eckig bewegte wie Mikke.
    Wir betraten die Wohnstube, die von einem Webstuhl, einem Backofen und einem Tisch beherrscht wurde, an dem zwanzig Menschen Platz gefunden hätten. Die Wände schmückten Netze und anderes Fischfanggerät sowie ein fast mannshoher Anker.
    Eine Standuhr tickte gravitätisch. Obwohl das Zimmer groß war, schien die ein Meter sechzig kleine, schlanke Katrina

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