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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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aus. Im selben Moment ging die Tür, Einstein sprang vom Sofa und lief in den Flur, vermutlich in der Hoffnung, Antti hätte ihm einen Leckerbissen mitgebracht. Aus dem Flur schallte Iidas Geplapper. Ich lief zu ihr und hob sie auf die Arme. »Ma-ma«, sagte sie immer wieder. Iida hatte meine Stupsnase und meine krausen Haare geerbt, die dunklen Augen und die Form der Augenbrauen stammten von Antti. Sie roch nach Banane, ich drückte sie an mich, schnupperte an ihr und küsste sie. Antti kam dazu, und Iida lachte glucksend, als sie von beiden Seiten umarmt wurde.
    »Es hat Krawall gegeben, hieß es in den Nachrichten.«
    »Irgendein Idiot hat Steine geworfen! Dabei sind wir ganz friedlich auf der Straße gegangen, anfangs gab es gar keine Probleme.«
    »Vielleicht solltest du Iida nächstes Mal lieber zu Hause lassen. Hast du Jiri Merivaara gesehen?«
    Antti nickte und sagte, er habe Jiri zum Tod seines Vaters kondoliert. Jiri hatte sich wortlos abgewandt und war auf die andere Seite des Demonstrationszuges gegangen, wohin er ihm mit dem Kind nicht folgen wollte. Antti fand es befremdlich, dass kein einziger Autofahrer verhaftet worden war, obwohl von beiden Seiten Steine geworfen wurden.
    Ich duschte rasch und kochte das Abendessen, Spinatpasta mit Avocado-Cashew-Sauce, ein Gericht, das auch Iida mochte. Für sie brauchten wir zur Zeit zwei Löffel: mit dem einen wurde sie gefüttert, mit dem anderen fuchtelte sie selbst herum. Das Ergebnis waren Saucenklekse rund um den Kinderstuhl und ein voll geschmiertes, aber überaus stolzes Kind. Einstein saß erwartungsvoll neben Iidas Stühlchen, verzog sich aber empört, als er merkte, dass statt Fleisch- oder Fischbrocken nur Gemüse herunterfiel.
    Ich ging fast gleichzeitig mit Iida schlafen, um halb zehn, und träumte nicht von der Arbeit, sondern vom glimmernden, spiegelglatten Meer, über das unser Segelboot glitt, schneller als jede Motoryacht. Am nächsten Morgen hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Ich vermied es, mich daran zu erinnern, mit wem ich gesegelt war, wer mich im Traum zum Lachen gebracht hatte.
    Ich zog meinen elegantesten Hosenanzug an, steckte die Haare im Nacken hoch und wählte modische Pumps mit hohen Absätzen, ein Spontankauf. Besonders bequem lief es sich nicht darin, aber die zusätzlichen Zentimeter waren mir willkommen.
    Bei der Morgenbesprechung platzte ich geradezu vor Energie.
    Ström saß mit Sonnenbrille am Tisch und kaute auf einem Nikotingummi. Ich verkniff es mir, zu ihm zu treten und seinen Atem zu schnüffeln. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Aufgabenverteilung.
    »Eine misshandelte Ehefrau in der Alakartanontie. Der Mann ist offenbar vorbestraft. Sirpa und Ari Väätäinen. Wer über-nimmt die Vernehmung?«
    »Hat der Kerl seine Alte schon wieder vertrimmt?«, stöhnte Ström. »Den kriegen sie ums Verplatzen nicht hinter Gitter! Ich übernehm das, Puupponen kann mir assistieren.«
    »Ruf gleich den Staatsanwalt an, er soll dich zu Sirpa Väätäinens Vernehmung ins Krankenhaus begleiten.« Ich hatte die Akte kurz überflogen, sie erzählte eine trostlose Geschichte. Ari Väätäinen hatte seine Frau bereits dreimal krankenhausreif geschlagen, doch jedes Mal hatte das Klinikpersonal Anzeige erstattet, nicht sie. In der letzten Nacht hatte Väätäinen seiner Frau zwei Rippen und das Kinn gebrochen. Das Ehepaar hatte drei Kinder unter zehn Jahren, die jetzt in einem Fürsorgeheim in Lippajärvi untergebracht waren.
    »Pertsa, sprich bitte mit dem Staatsanwalt. Diesmal müsste es für einen Haftbefehl reichen. Koivu, du kommst mit mir, wir werden Jiri Merivaara und Mikke Sjöberg vernehmen.«
    Bei den Merivaaras ging niemand ans Telefon. Jiri besuchte das Gymnasium in Espoonlahti, wir würden ihn dort abholen müssen. In Mikke Sjöbergs Wohnung in Kaitaa meldete sich seine Mutter.
    »Mikke ist im Hafen von Suomenoja, auf seinem Boot. Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet, weil ich gern heute Abend nach Åland zurückfahren würde. Geht das in Ordnung?«
    »Hast du deiner Aussage vom Sonntag noch etwas hinzuzufü-
    gen?«
    »Nein. Außerdem komme ich ja zu Juhas Beerdigung wieder her.«
    »Wann erwartest du Mikke?«
    »Wahrscheinlich kommt er gegen eins zum Mittagessen.«
    Ich gab ihr meine Handynummer. Dann fuhren wir zur Schule von Espoonlahti, einem riesigen, ziegelroten Bau.
    »Uff«, sagte Koivu, als wir parkten. »Ich krieg Zustände, wenn ich eine Schule betreten muss. Wenn ich an meiner alten Schule in Kajaani

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