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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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vorbeifahre, wird mir jedes Mal schlecht.
    Müssen wir mit dem Rektor sprechen?«
    Ich lachte. Wo sich Jiris Klasse befand, wusste die Schulsekre-tärin sicher besser als der Rektor. In den hallenden Fluren roch es nach Hühnerfrikassee. Ich fragte einen Jungen mit Strickmüt-ze und überweiten Hosen nach dem Weg. Er brummte nur und fuchtelte mit den Armen, doch nach einigem Hin und Her fanden wir schließlich das Sekretariat, wo eine mollige, dem Rentenalter nahe Sekretärin uns verwundert ansah. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich rasch, als sie hörte, dass wir Jiri Merivaara suchten.
    »Jiri … Einen Augenblick. Ich bin nicht sicher, ob er in der Schule ist, sein Vater ist nämlich am Wochenende gestorben.«
    Sie schwieg einen Moment, und man sah förmlich, wie ihr ein Licht aufging. »Sind Sie deshalb hier? Befasst sich die Polizei mit Juha Merivaaras Tod?«
    Bisher war es uns gelungen, den Medien weiszumachen, es habe sich um einen Unfall gehandelt, obwohl unsere Presserefe-rentin Mühe gehabt hatte, die Misstrauischen unter den Journalisten zu überzeugen. Eine der beiden Boulevardzeitungen hatte auch bei mir nachgebohrt. Dem zuständigen Reporter, der sich an Harris Tod erinnerte, war die Übereinstimmung der Daten aufgefallen. Ich hatte stur darauf beharrt, die einzige Verbindung zwischen den beiden Fällen seien die vom Herbst-regen rutschigen Felsen.
    »Wir überprüfen lediglich ein paar Einzelheiten. Wo finden wir Jiri denn, falls er zur Schule gekommen ist?«
    »Einen Augenblick … Jiri ist in der 11 B. Seine Klasse hat gerade Sport. Sehen wir mal in der Turnhalle nach, ich bringe Sie hin.«
    Die Turnhalle war leer. Der Schweißgeruch, der sich in die Wände gefressen hatte, wirkte geradezu einladend, am liebsten hätte ich mich vor der Arbeit gedrückt und eine Runde Volley-ball gespielt.
    »Vielleicht sind sie draußen, oder … Schauen wir erst mal in der Bücherei nach.«
    Wir folgten ihr durch die Flure. Hinter einer Tür hörte man Halbwüchsige lärmen, die Sekretärin schüttelte den Kopf:
    »Hartikainen hat seine Schüler nicht im Griff. Hier!«
    Sie öffnete die Tür zur Bücherei. Drinnen war es fast dunkel, ein Mädchen im langen Rock und mit Kopftuch saß lesend in dem schmalen Lichtstreifen, der durchs Fenster fiel.
    »Hallo, Fatima. Wir suchen Jiri. Ist eure Klasse im Schwimmbad?«
    Fatima nickte, ihr Gesicht war dunkel und zierlich.
    »Ist Jiri heute in der Schule?«
    »Ja. Ich weiß aber nicht, ob er mit zum Schwimmen gegangen ist. Er mag Hallenbäder nicht, wegen der Energieverschwendung«, sagte Fatima in leicht gebrochenem Finnisch, wobei sie es vermied, Koivu anzusehen. Wie kam sie zurecht, wenn ihre Klasse bei einem Mann Unterricht hatte?
    Die Sekretärin schloss die Tür und erklärte:
    »Fatima darf aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunter-richt teilnehmen. Die anderen sind in der Schwimmhalle gleich nebenan.«
    Wir ließen den Wagen vor der Schule stehen und gingen durch die Sportanlage zum Schwimmbad. Die Weiden waren in den kalten Nächten bunt geworden, sie leuchteten in der fast winterlich dünnen Sonne, die noch so viel Wärme spendete, dass ich mein Halstuch lockern musste, denn das Staksen in den neuen Schuhen war anstrengend.
    »Fatima darf nicht schwimmen«, sagte Koivu nachdenklich.
    »Als ob es so schlimm wäre, einen Badeanzug zu tragen. Es muss hart sein, wenn man nicht dasselbe tun darf wie die Klassenkameraden.«
    Ich nickte nur. Ich hätte lieber über Jiri Merivaara und seinen Vater nachgedacht als über die Probleme ethnischer Minderhei-ten, aber Koivu redete weiter.
    »Man braucht ja nur an Anu zu denken, ich meine an Wang.
    Ihre Eltern waren gar nicht begeistert, als sie zur Polizeischule ging. In den Augen der vietnamesischen Chinesen ist Polizistin kein akzeptabler Beruf für eine Frau. Dass sie einen finnischen Vornamen angenommen hat, war ihnen auch nicht recht.
    Ursprünglich hieß sie Din oder Dan oder so ähnlich, und der Name wurde umgekehrt gesprochen, Wang Din.«
    Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu. Mir hatte Anu Wang kaum etwas von sich erzählt, aber die beiden arbeiteten ja bereits seit einem Jahr zusammen.
    Wir zeigten dem Pförtner unsere Ausweise und wurden eingelassen. In der Halle war es feuchtwarm. So gern ich schwamm, in Hallenbädern hatte ich mich nie wohl gefühlt. Das lag wohl am Chlorgeruch und am Lärm. Auch jetzt durchbohrte mir das Kreischen die Ohren, obwohl nur einige Rentner und etwa zwanzig Jugendliche anwesend

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