Der Wind über den Klippen
Trimmpfad nach Olari ein. Nach dem Regen waren die Senken schlammig, meine Schuhe wurden nass, und der linke scheuerte an der Ferse. Der Schmerz war fast ein Genuss, denn er lenkte mich von den Dienstangelegenheiten ab.
Nach einer Weile musste ich trotzdem stehen bleiben, um den Strumpf hochzuziehen und ein Papiertaschentuch über die schmerzende Stelle zu legen.
Als ich Feierabend gemacht hatte, war Kantelinen noch damit beschäftigt gewesen, die Computerdateien der Merivaara AG zu untersuchen. Die Mitarbeiter hatten einhellig beteuert, Juha Merivaara sei ein strenger, aber beliebter Chef gewesen, das Betriebsklima sei gut und die gesamte Belegschaft stehe hinter der Firmenideologie. Der Finanzchef hatte Puupponen erzählt, er habe einige Male an den Geschäftsessen teilgenommen, für die Juha Merivaara junge, hübsche Hostessen engagierte.
Dergleichen sei im Geschäftsleben üblich. Puupponen, Stamm-kunde einer Erotikbar, hatte verständnisvoll genickt.
Es kam mir seltsam vor, dass eine Firma, die besonderes Gewicht auf Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung legte, bei Geschäftsverhandlungen Prostituierte einsetzte. Noch merkwürdiger fand ich, dass Anne Merivaara solche Praktiken tolerierte.
Unwillkürlich fragte ich mich, ob es hinter der Fassade der Merivaara AG noch mehr gab, das dem öffentlichen Image zuwiderlief.
Das Joggen war entspannend, half mir aber diesmal nicht, die Gedanken von der Arbeit zu lösen. Als ich schweißüberströmt nach Hause kam, waren Antti und Iida immer noch nicht da. Ich schaltete den Fernseher ein, um mir beim Bauchmuskeltraining und den Dehnungsübungen die Nachrichten anzusehen. Jelzin war nach Bosnien gereist, ein Wirbelsturm näherte sich der Küste von Florida. In London hatte es wieder eine Demonstration gegen die Schlachtviehtransporte in der EU gegeben. Vor gut einem Jahr hatte mich die Berichterstattung über dieses Thema in Rage gebracht. Der Nachrichtensprecher hatte noch ernster dreingeblickt als bei den Berichten aus Bosnien oder Ruanda und warnend gesagt, das folgende Bildmaterial sei für Kinder und Zartbesaitete nicht zu empfehlen. Dann hatte man verkrüppelte Schweine gesehen, dicht neben- und übereinander in einen Lkw-Anhänger gepfercht, blutend und in ihren Exkrementen watend. Es war tatsächlich ein entsetzlicher Anblick gewesen, der sicher viele veranlasst hatte, künftig auf Schweinefleisch zu verzichten.
Was mich jedoch mehr als alles andere in Wut versetzt hatte, war die Tatsache, dass am Tag zuvor in den Nachrichten ein übervolles Flüchtlingsschiff gezeigt wurde, das von Albanien nach Italien unterwegs war und von dem scharenweise Menschen ins Meer stürzten. Vor diesem Anblick waren die Zuschauer nicht gewarnt worden.
»Auch in Finnland wurde heute demonstriert«, fuhr der Nachrichtensprecher nun mit ruhiger Stimme fort. »In Helsinki musste die Polizei eine Demonstration von Fußgängern und Radfahrern auflösen, die die Mannerheimintie blockierten, um gegen den zunehmenden Autoverkehr im Zentrum zu protestie-ren. Die einmal monatlich zur Hauptverkehrszeit stattfindende Demonstration verärgerte die Autofahrer, die lange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten. Es kam zu einem Handgemenge zwischen Autofahrern und Demonstranten, beide Seiten warfen Steine. Zwei Demonstranten wurden leicht verletzt, fünf wurden in Gewahrsam genommen.«
Iida, dachte ich entsetzt. Wie konnte Antti ein einjähriges Kind zu einer Demonstration mitnehmen, bei der es Steine hagelte!
Bei einem Kameraschwenk über die Polizeikette blitzte am seitlichen Bildrand ein bekannter grüner Schopf auf. Der Tod seines Vaters hatte Jiri Merivaara nicht davon abgehalten, sich ins Getümmel zu stürzen. Die Kamera zoomte auf die blutende Wange einer jungen Frau mit Nasenring und schwarzen Haaren und auf ein blutjunges Mädchen in langem Rock und Poncho, das von einem Stein im Rücken getroffen worden war.
»Die Gesellschaft treibt uns Autofahrer in die Enge«, sagte ein sympathisch aussehender Mann in meinem Alter. »Ständig werden wir zur Kasse gebeten. Wir zahlen unverschämt hohe Benzinpreise, im Zentrum gibt es kaum Parkplätze, und die Parkgebühren sind der reine Wucher. Und die Polizei sieht tatenlos zu, wenn anständige Bürger daran gehindert werden, von der Arbeit nach Hause zu fahren.«
Als ich gerade den rechten Knöchel gepackt hatte, um den Oberschenkelmuskel zu dehnen, leitete der Nachrichtensprecher zu den Rallye-Ergebnissen über. Ich schaltete den Fernseher
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