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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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ich leerte die Tasse in einem Zug und hoffte, dass es wenigstens Koffein enthielt. Zum Glück fand ich in der Tasche noch ein Xylitolkau-gummi gegen den üblen Geschmack.
    Aus dem Vernehmungsraum vier hörte man Gebrüll. Die Worte konnte ich nicht verstehen, doch die Stimme gehörte eindeutig Ström. Offenbar nahm er gerade Ari Väätäinen in die Mangel, den Mann, der seine Frau misshandelt hatte. Jiri blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Tür.
    »Dritter Grad, wie?«, sagte er und versuchte den Hartgesotte-nen zu spielen.
    »Bei dem Kerl, der da drinnen sitzt, zieht nichts anderes«, erwiderte ich kühl und hielt ihm die Tür zum Vernehmungsraum zwei auf. »Aber bei dir fangen wir mit dem ersten Grad an.«
    Jiri ließ sich auf das Sofa fallen, ohne die Jacke auszuziehen, seine Lockerheit wirkte aufgesetzt. Koivu war noch mit seinem Kaffee beschäftigt, als ich begann, Jiri nach den Ereignissen des Wochenendes zu fragen.
    »Ich wollte nach Turku zu ‘ner Demo gegen ein neues Pelzgeschäft, alle anderen sind hin. Vater war froh, dass ich nach Rödskär musste. Er hat gesagt, er zahlt keine Geldbußen mehr.«
    Aus Jiris Bericht gewann ich den Eindruck, dass er hauptsächlich seiner Mutter zuliebe an dem Ausflug auf die Insel teilgenommen hatte. Zwar wollte er leben, wie es ihm passte, doch die Gefühle seiner Mutter schienen ihm sehr wichtig zu sein.
    »Mutti hatte schreckliche Angst davor, genau ein Jahr nach Harris Tod nach Rödskär zu fahren. Sie hat versucht, es vor mir und Riikka zu verbergen, als ob wir noch kleine Kinder wären.
    Und dann hat diese verdammte Seija auch noch mit ihren Geistern angefangen!«
    Nach Jiris Aussage glaubte Seija, dass ein Mensch, der unter unglücklichen Umständen zu Tode gekommen war, keine Ruhe fand, sondern dass sein Geist am Unglücksort umging. Besonders stark sei seine Anwesenheit am Jahrestag des Todes.
    »Mutti glaubt an Seijas Steine, aber die Geistergeschichte ging zu weit. Mikke hat Seija ins Gebet genommen, danach hat sie damit aufgehört.«
    Jiri hatte die Schlemmerei widerlich gefunden und nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich zu verziehen. Als Anne sich gegen elf Uhr zurückgezogen hatte, meinte Jiri, seine gesellschaftli-chen Pflichten erfüllt zu haben, und war nach draußen gegangen.
    Es war eine mondlose Nacht gewesen, mit bewölktem Himmel.
    Jiri war eine Weile auf den Felsen herumspaziert und hatte sich kurz vor Mitternacht schlafen gelegt.
    »Ich hab die ganze Nacht fest geschlafen und nichts mitgekriegt, bis Riikka am nächsten Morgen angerannt kam und schrie, Vater wäre tot.«
    Mikke hatte bei seiner Vernehmung ausgesagt, Jiri sei in der Nacht einmal draußen gewesen. Ich hakte nach, allerdings ohne Mikke zu erwähnen.
    »Vielleicht war ich wirklich mal pinkeln. Ich hab so tief geschlafen, kann schon sein, dass ich im Halbschlaf nach draußen gelatscht bin. Aber ihr braucht mich gar nicht zu fragen, ob ich was gehört hab. Wenn ich erst mal schlafe, bringen mich nicht mal drei Wecker hoch. Mutti muss mir immer Wasser ins Gesicht spritzen, damit ich morgens aufwache, fragt sie selbst!
    Was soll das überhaupt? Vater ist doch vom Felsen abgerutscht, wie Harri. Übrigens kein Wunder nach der Sauferei!«
    Jiris Magen knurrte vernehmlich, sicher wurde in der Schule um diese Zeit gegessen. Was bekamen Veganer eigentlich? Ein vielseitiges Angebot konnte die Stadt sich vermutlich nicht leisten. Oder brachte Jiri seinen eigenen Proviant mit, um sicher zu sein, dass die Möhren aus ökologischem Anbau stammten und die Tomaten nicht aus Spanien eingeflogen worden waren?
    »Der Tod deines Vaters war kein Unfall. Es handelt sich um ein Verbrechen. Du willst doch sicher auch, dass der Täter zur Verantwortung gezogen wird?«
    »‘ne Medaille würd ich ihm verleihen!«, fuhr Jiri auf und schob die Hände weit in die Ärmel seines grünen Anoraks.
    »Mein Vater war ein Stück Scheiße. Seine Naturschutzge-schichten waren nichts als Theater, der verdammte Heuchler hat immer nur ans Geld gedacht. Ich weiß nicht, wer ihn umgebracht hat und warum, aber wenn ihr es rausfindet, sagt mir Bescheid, damit ich ihm gratulieren kann.«
    Er sah mich unverwandt an, als wolle er die Wirkung seiner wüsten Tirade testen. Ich starrte zurück. Wenn er unbedingt den harten Mann spielen wollte, würde ich ihn entsprechend anfassen.
    »Warum hast du deinen Vater gehasst? Hat er dir oder deiner Mutter etwas angetan?«
    Jiri warf mir einen bösen Blick zu und verkroch sich in

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