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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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gelesen?«
    »Ja, aber das ist schon Jahre her«, sagte ich und dachte bei mir, Mikke müsse im Grunde seines Herzens ein Romantiker sein, wenn er sein Boot nach der idealistischen Heldin des Romans von Andrew Garve benannte.
    »›Ein Held für Leanda‹ ist bis heute eins meiner Lieblingsbü-
    cher.« Er zog ein blaugrün eingebundenes altes Taschenbuch aus dem Regal. »Auf Reisen lese ich am liebsten finnisch, damit ich die Sprache nicht ganz vergesse. Bei den vielen Ländern und Sprachen bringe ich manchmal alles durcheinander. Magst du Schokokekse?«
    Süßigkeiten hatte ich noch nie widerstehen können. Mikke setzte sich auf das eine der beiden Sofas, ich ließ mich auf das andere fallen. Der Keks, den ich fast mit einem Bissen verschlang, bestand praktisch nur aus Schokolade. Na ja, besser als gar kein Mittagessen.
    »Willst du mit mir über Jiri reden?«, fragte Mikke und leckte sich die Schokolade von der Lippe.
    »Eigentlich nicht. Hast du nach seiner Freilassung schon mit ihm gesprochen?«
    »Ja, ich war gestern bei den Merivaaras, Anne hatte mich darum gebeten. Jiri war ziemlich kleinlaut nach den zwei Tagen in der Zelle. Zu seinem Anteil an dem Brand wollte er sich nicht äußern. Was ist da in Kauklahti eigentlich passiert?«
    Während ich ihm kurz Bericht erstattete, verfinsterte sich sein Gesicht, und er sah nachdenklich zum Bullauge hinaus. Dann lächelte er plötzlich und sagte:
    »Wahrscheinlich sollte ich das nicht tun, aber ich habe trotzdem vor, nach dem Kaffee eine kleine Runde zu drehen, vielleicht nach Hirsala und zurück. Komm doch mit!«
    »Keine gute Idee«, murmelte ich, die Augen fest auf die Kaffeetasse geheftet.
    »Wieso denn nicht, du kannst doch segeln. Du fährst eben mit, um aufzupassen, dass ich mich nicht davonmache.«
    Mikke lächelte immer herausfordernder, ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
    »Genau genommen wollte ich mit dir über Harri Immonen sprechen. Er war nämlich auch bei der RdT.«
    »Harri? Kann ich mir kaum vorstellen. Er war so – du weißt schon. Sanft wie ein Lämmchen.«
    »Ich glaube auch nicht, dass er bei Krawallen oder Brandstif-tungen mitgemacht hat. Vielleicht war er nur bei irgendeiner Demo dabei, das reicht der Sicherheitspolizei schon, um Leute auf ihre Liste zu setzen. Du hattest nicht den Eindruck, dass Jiri und Harri sich kannten?«
    Mikke verneinte. Jiri habe sich Harri gegenüber gleichgültig verhalten, einmal allerdings zu ihm gesagt, Harri interessiere sich immerhin für Vögel als Lebewesen, während es Tapsa nur darum ginge, sie mit dem Fernglas aufzuspüren.
    »Es ist ja auch wirklich verrückt, dass die Leute Hunderte von Kilometern mit dem Auto fahren, um irgendwelche Bachstelzen zu beobachten. Echt umweltfreundlich«, lachte ich nervös, und Mikke lachte mit. Dann schlug er erneut einen Segeltrip vor, und ich war verrückt genug einzuwilligen.
    »Ich leg den Spinnaker bereit. Wir fahren das erste Stück nur mit dem Großsegel, aber wenn wir erst mal auf Ostkurs sind, haben wir Wind von achtern. Bist du warm genug angezogen?
    Pullover und lange Unterhosen kann ich dir leihen.«
    Da ich mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren war, hatte ich Jeans und eine Lederjacke an. Ich nahm die Ohrenschützer aus der Tasche und setzte sie auf. Wir fuhren mit Motorkraft aus dem Hafen, wobei Mikke sich über seine eigene Faulheit lustig machte.
    »Wenn ich den Start unter Segeln verpatze, hältst du mich am Ende für einen Sonntagssegler«, witzelte er. Sobald wir den Hafen hinter uns gelassen hatten, setzten wir das Großsegel und segelten hart am Wind.
    »Tapsa war gestern stinksauer auf Jiri, der mit seiner Meinung aber auch nicht hinter dem Berg gehalten hat. Er hat Tapsa sogar des Mordes beschuldigt!«
    »Was?« Der Wind blies mir die Haare vor die Augen, sodass ich Mikkes Gesicht nicht sah.
    »Ein absurder Gedanke. Ich weiß, die beiden haben sich auf Rödskär in der Sauna geprügelt, aber damit war die Sache wohl auch erledigt. Sie mussten einfach Dampf ablassen.« Er zog die Pfeife aus der Brusttasche seines Jacketts und bat mich, die Pinne zu halten.
    »Wenn Juha wirklich ermordet wurde, was ich immer noch nicht glauben kann, kommen Tapsa und Riikka doch wohl nicht als Täter infrage«, meinte er, während er die Pfeife anzündete.
    Als er dann die Pinne wieder übernahm, streiften sich unsere Hände erneut. Die Berührung elektrisierte mich. Auf dem Meer tanzten Sonnenflecken, der Ostwind hatte die Birken entkleidet, die am Ufer

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