Der Wind über den Klippen
das Ruder so fest, dass die Fingerknöchel die Haut zu zerreißen schienen.
Ohne noch einmal halsen zu müssen, schafften wir die Durch-fahrt zwischen Pentala und Stora Herrö. Mikke übergab mir erneut das Ruder und holte die Fock für die Rückfahrt aus der Kajüte. Wir fuhren etwa zehn Minuten, ohne ein Wort zu sprechen, und genossen die Farben des Herbstlaubs an der Küste. Im Westen ballten sich dunkle Wolken zusammen, vor denen sich die tiefrot und leuchtend gelb gefärbten Bäume scharf und zugleich unwirklich abzeichneten. Schließlich kletterte Mikke an den Bug, um den Spinnaker zu fieren. Ich drehte das Ruder nach seinen Anweisungen und zog das Großsegel straff, er gab seine Befehle mit ruhiger, fester Stimme. Jeder künftige Polizeioffizier hätte sich Mikkes Auftreten zum Vorbild nehmen können. Die »Leanda« bewegte sich jetzt in schärferem Rhythmus, aber dennoch weich, sie nahm die gelegentlichen höheren Wellen so mühelos, dass ich nicht länger an ihrer Seetüchtigkeit zweifelte. Mikke schob den Spinnaker durch die Vorderluke ins Bootsinnere und begann die Fock zu setzen.
»Etwas mehr in den Wind! Gut so! Du warst wohl schon oft auf See?«
Gerade weil ich keine erfahrene Seglerin war, tat mir das Lob gut. Mikke zog die Fokk auf und ließ sie flattern, dann wendeten wir um hundertfünfzig Grad.
»Und nun zurück nach Suomenoja«, sagte er niedergeschlagen und sprang herunter auf den Sitzkasten. »Schade, dass wir nicht öfter solche Ausflüge machen können. Du bist ein guter Gast.«
»Madeira klingt verlockend«, lachte ich und war froh, dass mein Gesicht bereits vom Wind gerötet war.
»Du sagst es. Vielleicht wäre ich tatsächlich abgehauen, wenn du nicht mitgefahren wärst. Was hättest du dann getan?«
»Ich hätte den Küstenschutz auf dich gehetzt. Wenn du weiterhin solche Reden schwingst, muss ich dir den Pass abnehmen.«
»Und wenn Juhas Tod nicht aufgeklärt wird? Wollt ihr mich den ganzen Winter über hier behalten?«
»Er wird aufgeklärt, keine Sorge«, sagte ich mit aller Überzeugung, die ich aufbrachte. Dann erkundigte ich mich, wie die Bordtoilette funktionierte, und zwängte mich in die Kajüte.
Drinnen war das Schaukeln stärker zu spüren, doch jeder Gegenstand lag an seinem Platz. Vor der Abfahrt hatte Mikke den Laptop verstaut und die herumliegenden Bücher ins Regal gestellt. Die Vorstellung, ein halbes Jahr lang auf einem Zehnmeterboot zu leben, war faszinierend und beängstigend zugleich. Zumindest würde man dabei kein überflüssiges Gepäck mitschleppen. Das Boot schaukelte plötzlich heftiger, ich sah zu, dass ich wieder an Deck kam.
»Wir schlagen einen Bogen um Miessaari und fahren an der nächsten Insel vorbei, an der Iso Vasikkasaari, so geht es bei diesem Wind am leichtesten. Zieh mal die Fokk straff.«
Ich zog am Seil und spürte den Ruck bis in die Rückenmuskeln.
»Hinter Miessari müssen wir ordentlich kreuzen. Schaffst du das, oder sollen wir lieber den Motor anlassen?«
»Ich schaff es schon«, schnaufte ich, obwohl es immer später wurde und dieser blödsinnige Segeltörn mir nichts brachte außer Herzklopfen und dem immer deutlicheren Gefühl, dass Mikke mir etwas verschwieg. Aber wie sollte ich es anstellen, ihm sein Geheimnis zu entreißen? Der Einzige, den Mikke vermutlich nicht decken würde, war Tapio Holma, der die Merivaaras zum Zeitpunkt von Harris Tod noch nicht gekannt hatte. Trotz der steifen Brise kam ich bei den Wendemanövern ins Schwitzen.
Ich betrachtete die Sommervillen auf der Insel und den kleinen Neptuntempel, an dem Antti und ich im vorletzten Winter bei einer Skiwanderung vorbeigekommen waren. Im selben Moment entdeckten meine Polizistenaugen etwas Ungewöhnliches.
»Hast du ein Fernglas an Bord?«
»In der Kajüte.«
»Hol es her, schnell!«
Ohne Fragen zu stellen, übergab Mikke mir das Ruder und sprang hinunter. Wertvolle Sekunden verstrichen, bevor ich das Fernglas eingestellt hatte, doch dann fand ich meine Beobachtung bestätigt.
An der südöstlichen Spitze der Insel Iso Vasikkasaari trieb eine Leiche im Wasser.
»Wir müssen die Segel reffen! Guck mal!« Ich hielt Mikke das Fernglas hin, er schaute hindurch und wurde noch blasser.
Wieder ließ er mich das Ruder halten, rannte los und holte die Fokk ein, während ich mit der freien Hand die Schnellwahltaste für das Präsidium drückte und ein Polizeiboot anforderte.
Mikke reffte auch das Großsegel und ließ den Motor an. Er bewegte sich ruhig und
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