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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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Irgendetwas geschieht mit mir. 
    Bowman sah sie auf die Knie fallen und spürte die überwältigende Müdigkeit, die von ihrem Körper Besitz ergriff. Er wusste, dass er ihr helfen sollte, doch er war wie gelähmt, starr vor Angst. 
    Komm da weg, Kess, flehte er. Komm da weg. 
    Ich kann nicht. 
    Das wusste er, er fühlte es. Sie wurde immer schwächer, ihr war, als trügen sie die alten Kinder bereits davon. 
    Ich kann mich nicht bewegen, Bo. Hilf mir. 
    Er beobachtete, wie sie sich um sie scharten, fürchtete sich jedoch so sehr, dass er nichts tat. Und weil ihm das bewusst war, weinte er vor Scham. 
    Plötzlich hörten sie ein lautes Platschen und Klatschen, denn irgendetwas hinter ihnen stürmte aus dem Tunnel. Es brüllte wie ein wildes Tier und ruderte angriffslustig mit den Armen. 
    »Kakka-kakka-kak!«, machte es. »Paddel-paddel-paddel¬kak!« 
    Die alten Kinder wichen erschrocken zurück. Der Wirbelwind fegte an Bowman vorbei und warf ihn von der Felsbank in den reißenden Fluss. Das aufspritzende Wasser löschte das Feuer der Fackel. Plötzlich war es finster. Kestrel merkte, wie sie zum Ufer des Flusses geschleift wurde – und kopfüber stürzte sie ins Wasser. Ein dritter Platsch folgte. Zu dritt wurden sie durch die Strömung gewirbelt und auf das tosende Loch zugetrieben. 
    Das kalte Wasser belebte Kestrel wieder und sie fing an zu strampeln, kämpfte sich an die Wasseroberfläche und sog gierig die Luft ein. Da sah sie, dass das niedrige Felsdach näher kam, tauchte wieder unter und wurde durch das Loch gesogen. Einen Moment lang war nur brausendes Wasser um sie herum, doch dann flog sie plötzlich mit der Gischt durch die Luft und stürzte mit den Wassermassen nach unten, tiefer und tiefer. Nach Atem ringend dachte sie: Das war’s, das ist das Ende. Doch dann landete sie mit einem Plumps und einem lang anhaltenden Zischen in weichem, tiefem Schlamm. 

10 In den Salzhöhlen 
    Sowie sie sich von dem Schock ihres Sturzes erholt hatte, fiel Kestrel der Ekel erregende Gestank auf. Sie stellte fest, dass sie im Untersee gelandet war. Über ihr erstreckte sich das weite, gewölbte Dach aus Salzgestein, das sie schon einmal gesehen hatte. Nicht weit von ihr fiel Licht durch eines der Löcher im Höhlendach, andere Lichtquellen gab es in diesem Schattenreich nicht. Vor ihr lag eine dunkel schimmernde Landschaft aus Wasser und stinkendem Schlamm, hinter ihr der Wasserfall, der sie hierher gespült hatte. Sie schaute sich nach dem Steg und den vertäuten Lastkähnen um, doch die mussten sich wohl in einem anderen Teil der großen Salzhöhlen befinden, irgendwo in der Finsternis. 
    Plötzlich hörte sie ein leises Wimmern, drehte sich um und sah Bowman im Matsch herumzappeln. 
    »Alles in Ordnung, Bo?« 
    »Ja«, antwortete er, doch dann begann er zu weinen – zum Teil vor Erleichterung, überlebt zu haben, aber hauptsächlich vor Scham. 
    »Wein doch nicht, Bo«, sagte Kestrel. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit.« 
    »Ja, ich weiß. Tut mir Leid.« Schweigend bat er sie um Verzeihung. Ich hätte dir helfen sollen. Aber ich hatte solche Angst. 
    »Das hier ist der Untersee«, sagte Kestrel laut, um seine Gedanken auf praktische Dinge zu lenken. »Es führt ein Weg hinaus auf die Ebene, da bin ich ganz sicher.« Sie drehte sich um und schaute auf den Schlamm, als plötzlich prustend und grunzend eine bekannte Gestalt auftauchte. Sie stellte sich aufrecht hin, wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht und strahlte Kestrel an. 
    »Mumpo!« 
    »Hallo, Kess!«, sagte Mumpo froh. 
    »Du warst das!« 
    »Ich hab gesehen, wie ihr in dem Loch verschwunden seid. Und da bin ich euch gefolgt. Ich bin nämlich dein Freund.« 
    »Mumpo, du hast mich gerettet!« 
    »Sie wollten dir wehtun. Ich werde nicht zulassen, dass dir jemand wehtut.« 
    Sie starrte ihn an, wie er dastand, von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt. Wie konnte er nur so zufrieden mit sich selbst sein, fragte sie sich. Aber sie waren ja alle voller Schlamm und Bo und sie selbst stanken jetzt genauso wie er. 
    »Mumpo«, sagte sie, »du warst sehr mutig und tapfer und ich werde dir immer dafür dankbar sein, dass du mich gerettet hast. Aber du musst jetzt zurückgehen.« 
    Mumpo machte ein langes Gesicht. »Ich will aber bei dir sein, Kess.« 
    »Nein, Mumpo.« Sie sprach freundlich, aber bestimmt, wie mit einem kleinen Kind. »Sie suchen mich, nicht dich. Du musst wieder nach Hause gehen.« 
    »Kann ich nicht, Kess«, erwiderte

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