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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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Mumpo nur. »Meine Beine stecken fest.« 
    Da merkten Kestrel und Bowman, dass sie sanken – nicht schnell, aber stetig. 
    »Macht nichts«, sagte Kestrel. »Ich war schon mal hier. Wir versinken nur bis zu den Knien.« Sie versuchte ihr Bein aus dem Schlamm zu ziehen und stellte fest, dass es nicht möglich war. 
    Kess, sagte ihr Bruder in Gedanken. Was machen wir, wenn sie uns hierher folgen? 
    Sie schaute sich in alle Richtungen um, doch von den alten Kindern war nichts zu sehen. Wenn sie das tun, antwortete Kestrel, werden sie genauso stecken bleiben wie wir. 
    So standen sie nun in durchnässten Kleidern da, die an ihren bibbernden Körpern klebten, atmeten faulige Luft und versanken langsam. Als sie bis über die Knie im Schlamm steckten, sagte Bowman: »Wir sinken immer noch.« 
    »Irgendwann müssen wir doch auf Grund stoßen«, antwortete Kestrel. 
    »Warum?« 
    »Wir können doch nicht einfach untergehen.« 
    »Warum nicht?« 
    Eine Weile sagte niemand etwas und sie sanken weiter. Dann brach Mumpo das Schweigen. 
    »Ich mag dich, Kess. Du bist meine Freundin.« 
    »Mann, halt’s Maul, Mumpo. Tut mir Leid. Ich weiß ja, dass du mich gerettet hast, aber ehrlich gesagt…« 
    Wieder verfielen sie in Schweigen. Inzwischen steckten sie bis zum Bauch im Schlamm. 
    »Magst du mich, Kess?«, fragte Mumpo. 
    »Ein bisschen«, erwiderte Kestrel. 
    »Wir sind Freunde«, sagte Mumpo glücklich. »Wir mögen uns.« 
    Seine unsinnige Fröhlichkeit brachte Kestrel schließlich dazu, laut auszusprechen, was sie vorher nicht einmal hatte denken wollen. »Du blöder Fatzke! Kapierst du denn nicht? Wir werden im Schlamm versinken!« 
    Mumpo schaute sie verdutzt an. »Meinst du wirklich, Kess?« 
    »Sieh dich doch mal um. Wer soll uns denn rausholen?« 
    Er sah sich um und konnte niemanden entdecken. Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst und er begann zu schreien. »Hilfe! Ich versinke! Hilfe! Ich gehe unter! Hilfe!« 
    »Ach, sei doch still. Hier ist niemand, der uns helfen kann.« 
    Doch Mumpo schrie nur umso lauter. Und das war auch gut so, denn Kestrel hatte sich geirrt. Es war nämlich jemand da, der helfen konnte. 
    Nicht weit von ihnen streifte ein kleiner, dicker Schlammmann namens Willum gebückt über die Seeoberfläche und suchte nach Tixablättern. Tixa wuchs wild an unerwarteten Stellen und man fand es nur, wenn man stundenlang herumwanderte und irgendwie träge und verträumt mit einem halben Auge danach Ausschau hielt. Blickte man zu angestrengt auf die trübe graue Oberfläche des Sees, war es unmöglich, die Tixapflanzen zu entdecken, denn sie hatten die gleiche Farbe wie der Schlamm. Der Trick war eher, nicht danach zu suchen, dann konnte man sie nämlich aus den Augenwinkeln erspähen. War man fündig geworden, pflückte man die Blätter, stopfte sie sich in die Tasche und nahm eines zum Kauen für den weiteren Weg. Das Kauen von Tixablättern machte einen träge und verträumt und man wurde noch besser im Aufspüren weiterer Pflanzen. 
    Als Willum die fernen Schreie hörte, richtete er sich auf, spähte in die Dunkelheit und wollte ausnahmsweise wirklich etwas entdecken. 
    »Meine Güte«, murmelte er und lächelte, obwohl er keine Ahnung hatte, warum. Er war fast den ganzen Tag draußen gewesen, hatte Tixa gekaut und sollte sich langsam wirklich auf den Heimweg machen. Die Nuss-strümpfe, die ihm um den Hals hingen, waren voll und seine Frau hatte ihn schon vor einiger Zeit zurückerwartet. 
    Doch die schrillen Schreie hörten nicht auf, daher machte sich Willum in ihre Richtung auf und folgte dem Netz aus Wegen, das alle Schlammmenschen nutzen lernten, sobald sie laufen konnten. Diese Wege lagen unterhalb der Schlammoberfläche – manchmal dicht darunter, manchmal aber auch in Knietiefe. Alle Schlammmenschen gingen auf die gleiche Art diese Wege entlang: ein langsames, gleichmäßig schwingendes Schreiten, bei dem immer ein Fuß aus dem Schlamm heraus- und der andere hineinflutschte. Man kam nicht schnell voran, besonders wenn man den ganzen Tag Tixa gesammelt hatte. 
    Währenddessen waren die Kinder weiter eingesunken. Der Schlamm stand ihnen nun bis zum Hals und noch immer konnten ihre verzweifelt zappelnden Zehen keinen harten Boden ertasten. Kestrel hatte Angst und hätte sicher angefangen zu weinen, wenn Mumpo nicht für sie alle genug gezetert hätte. 
    »Wäää-äääää-ääääh!«, heulte Mumpo, wie ein Baby. »Wää-äääh!« 
    Keiner von ihnen bemerkte

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