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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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– na ja, sie werden uns auf jeden Fall keine Schwierigkeiten mehr machen. Bleibt nur noch die kleine Tochter.« 
    »Mir ist nicht ganz klar«, erwiderte Dr. Greeth, »ob Sie meiner Meinung sind oder nicht.« 
    »Theoretisch bin ich durchaus Ihrer Meinung«, erklärte Maslo Inch. »Aber praktisch gesehen müssen wir sie vor der Großen Prüfung von dort verschwinden lassen.« 
    »Oh, bis dahin ist sie lange fort.« 
    »Außerdem muss sie dafür geradestehen.« 
    »Was genau schlagen Sie vor, Oberster Prüfer?« 
    »Diese Familie hat mit ihrem Benehmen die Stadt Aramanth beleidigt. Sie wird sich dafür öffentlich entschuldigen müssen.« 
    »Diese Frau hat ein lebhaftes Temperament«, gab Dr. Greeth zu bedenken. »Und einen eisernen Willen.« 
    »Ein Temperament kann man bändigen«, antwortete der Oberste Prüfer und lächelte sein kaltes Lächeln. »Und einen Willen kann man brechen.« 

18 Riss-im-Land 
    Jetzt, da die Zwillinge wieder festen Boden unter den Füßen hatten, schien der Große Weg, den Kestrel vom hohen Wachturm in Ombaraka aus so klar und deutlich gesehen hatte, wieder verschwunden zu sein. Die sanft ansteigenden Gebirgsausläufer waren von Erhebungen und Senken durchzogen und mit verkrüppelten Baumgruppen gesprenkelt, dazwischen war keine Straße zu erkennen. Nur die zerklüfteten Berge ragten vor den Kindern am Horizont auf, und dorthin lenkten sie ihre Schritte. 
    Mumpo stöhnte beim Gehen. Während der Schlacht hatte er zu viel Tixa gekaut und nun hatte er Kopfschmerzen, einen trockenen Mund und ihm war furchtbar schlecht. Bowman und Kestrel zeigten sich anfangs sehr besorgt und mitfühlend. Doch Mumpo jammerte so lange, dass sie sich irgendwann darüber ärgerten und Kestrel zu alten Gewohnheiten zurückkehrte. 
    »Oh, sei still, Mumpo.« 
    Da stöhnte Mumpo nicht nur, sondern fing auch noch an zu weinen. Beim Weinen lief ihm die Nase, und das machte es noch schwerer, Mitleid mit ihm zu haben. Allerdings hatten Bowman und Kestrel andere Dinge im Kopf. Als die Bäume dichter standen und sie über schattige Hänge wanderten, suchte Kestrel nach Spuren des Großen Weges und Bowman hielt ängstlich nach lauernden Gefahren Ausschau. Er wusste um seine blühende Fantasie und wollte die anderen nicht unnötig beunruhigen, doch er hatte das Gefühl, dass sie verfolgt wurden. 
    Dann sah er etwas – oder besser jemanden – vor sich. Er blieb wie angewurzelt stehen und zeigte schweigend darauf, damit die anderen auch darauf aufmerksam wurden. Hinter einer Baumgruppe war eine riesige Gestalt aufgetaucht, die auf einer Art Podest stand und zu ihnen herüberblickte. Bowman und Kestrel hatten sofort den gleichen Gedanken: Riesen. Die Alte Königin hatte ihnen erzählt, dass es auf dem Großen Weg Riesen gebe. Eine Weile blieben sie reglos stehen und auch der Riese rührte sich nicht. Dann nieste Mumpo plötzlich laut und sagte: »Tut mir Leid, Kess.« 
    Der Riese schien es nicht gehört zu haben. Also gingen sie zuerst langsam auf ihn zu, doch als sie die Baumgruppe hinter sich gelassen hatten, löste sich ihre Angst in Luft auf. 
    Sie standen vor einer Statue. 
    Die Figur war mindestens doppelt so groß wie ein Mensch und sehr alt und verwittert. Sie stellte einen Mann in einer Robe dar, der mit ausgestrecktem Arm nach Süden zeigte – die Hand fehlte. Ebenso der andere Arm und der größte Teil des Gesichts. Die Statue stand auf einem hohen Steinsockel, dessen Kanten von Wind und Regen rundgeschliffen waren. 
    Nicht weit entfernt entdeckten sie noch einen Sockel mit einer weiteren Statue. Nun, da sie wussten, was sie da sahen, bemerkten sie immer mehr dieser Statuen, die eine breite Doppelreihe zwischen den Bäumen bildeten. 
    »Riesen«, stellte Kestrel fest. »Um die Reisenden den Großen Weg entlangzuführen. Bestimmt säumten sie früher den ganzen Weg.« 
    Voller Zuversicht, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, eilten sie weiter auf die Berge zu. Doch bald fing Mumpo wieder an zu schniefen und zu stöhnen. 
    »Können wir uns nicht ausruhen? Ich will mich ausruhen. Mein Kopf tut weh.« 
    »Wir gehen weiter, das ist das Beste«, antwortete Bowman. 
    Mumpo begann zu weinen. »Ich will nach Hause«, schluchzte er bitterlich. 
    »Tut mir Leid, Mumpo«, sagte Bowman und versuchte nicht zu streng mit ihm zu sein. »Aber wir müssen weiter.« 
    »Warum putzt du dir bloß nie die Nase?«, wollte Kestrel wissen. 
    »Sie läuft doch trotzdem weiter«, entgegnete Mumpo

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