Der Winterpalast
geheiratet«, sagte er.
Ich spürte den Druck seiner Hand. Sie fühlte sich stärker an, als ich sie in Erinnerung hatte.
Später, als Igor abgereist war, dachte ich oft an diese Worte, wenn ich nachts in meinem Bett lag, neben mir der warme Körper meiner schlafenden Tochter. Ich drehte sie in meinem Kopf hin und her.
Prahlerei?
Ein Versprechen?
Und da ist noch eine Erinnerung an diesen Sommer: Darenka mit Katharina in der Voliere in Oranienbaum, umgeben von Papageien, Sittichen, Kanarienvögeln, denen sie ihre Händchen voller Samenkörner hinstreckt und sie lockt, ihr aus der Hand zu fressen. Und wie sie dann Katharina fragt, ob sie die Vögelchen nicht aus dem Käfig herauslassen will in den Garten, damit sie fliegen können, wohin sie wollen.
Ich erinnere mich an Katharinas Antwort.
Als sie ein kleines Mädchen war, hatte sie denselben Gedanken gehabt. Und darum hatte sie die Tür der Voliere ihrer Tante offen stehen lassen.
»Und was ist dann passiert?«, fragte Darja.
Ich erstarrte, denn ich wusste nur allzu gut, dass Katharina Darjas Sehnsucht danach, dass alle Geschichten in schöner, heiterer Harmonie zu Ende gingen, enttäuschen würde.
»Mit mir oder mit den Vögeln?«, fragte sie. »Ich musste ohne Abendessen zu Bett gehen, und das war auch schon alles. Den Vögelchen erging es nicht so gut.«
Ich beobachtete Darjas Gesicht, während sie im Geist die Bilder sah, die zu Katharinas Geschichte gehörten: Papageien, die von anderen Vögeln zu Tode gehackt wurden. Spatzen und Drosseln, die ihre Tante gerettet und aufgepäppelt hatte und die jetzt eine leichte Beute für Katzen und Nachbarsjungen waren. Blutige Reste von Kadavern, umgeben von Federn. Eine Katze, im Maul einen leblosen Vogel; sie wirkte, als wäre sie überrascht davon, dass sich ihr Opfer gar nicht gewehrt hatte.
»Das wirst du doch meinen Vögeln nicht antun wollen, oder, Darenka?«, fragte Katharina.
Ich sah, wie meine Tochter ernst und nachdenklich den Kopf schüttelte.
Im September kehrte der Hof nach Sankt Petersburg zurück und bezog nun auch das Ausweichquartier an der Großen Perspektivstraße. Im Ostflügel lagen die kaiserliche Suite, das Kinderzimmer und die Wohnräume von Elisabeths Hofdamen. Der Großfürst und seine Entourage bewohnten eine Suite direkt neben dem Schlafzimmer der Kaiserin.
Peter gefiel die neue Wohnung gar nicht. Seine Holsteiner Offiziere waren in einem Haus auf der anderen Seite der Straße einquartiert. Für seine Ehrendamen und das Fräulein stand nur ein einziger Raum zur Verfügung. Er selbst hatte nicht genügend Platz für seine militärhistorischen Sandkastenstudien und konnte nicht einmal richtig seine Landkarten ausbreiten.
Die Wände waren dünn. Wenn er nieste, hörte es die Kaiserin nebenan.
Auch für die Regierungsbeamten war in dem Palast kein Platz. Der Kanzler und sein Stab bezogen ein Haus in der Millionnajastraße. »Es ist laut«, sagte Bestuschew gereizt, als ich ihn fragte, wie ihm sein neues Quartier gefiele. Das Hämmern und Sägen im alten Winterpalast hörte auch in der Nacht nicht auf. Monsieur Rastrelli wollte unbedingt mit den Außenarbeiten fertig werden, bevor der Frost einsetzte.
Katharinas Suite – vier große Vorzimmer und zwei Privaträume – lag im Westflügel, ganz in der Nähe meiner Wohnung. Offenbar wollte die Kaiserin, dass die Großfürstin möglichst weit weg von ihrem Kind wohnte.
Jetzt, da der Hof wieder da war, hatte die Ruhe des Sommers ein Ende. Ich musste wieder ständig der Kaiserin zur Verfügung stehen, um sie zu bedienen oder für sie zu spionieren.
An dem Tag, an dem die Kaiserin zurückkam, herrschte viel Aufregung. Ein Dieb war gefasst worden, der Silbergeschirr gestohlen hatte. Die Kamine zogen schlecht, alles war voller Qualm, die Fußböden knarzten. Die Vorzimmer der Kaiserin waren voll von Leuten, die darauf warteten, zur Audienz vorgelassen zu werden. Ständige Vertreter und Gesandte europäischer Herrscher, hochgestellte ausländische Besucher und Bittsteller mischten sich mit Porträtmalern, Handwerksmeistern und Kaufleuten, die einen Auftrag zu erhaschen hofften. Monsieur Rastrelli war so klug gewesen, sich nicht blicken zu lassen.
»Schick sie fort, alle«, befahl die Kaiserin.
Ich gehorchte.
Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, lag die Kaiserin auf ihrem Bett, in ihrem Rücken zwei dicke Kissen. Ihre Hände und Füße waren geschwollen, ihr Gesicht glänzte vor Schweiß. Eine der Zofen klaubte umherliegende
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