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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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das noch mal zu etwas gut sein könnte!« Sie meinte die vielen Stunden, in denen sie unter Peters Kommando hatte lernen müssen, wie man das Gewehr präsentiert und mit selbstbewusst weit ausgreifenden Schritten marschiert wie ein Mann.
    Es klopfte an der Tür, und wir schraken zusammen, aber dann hörten wir von draußen Madame Wladislawowa schüchtern fragen, ob die Großfürstin heute Abend noch irgendwelche Wünsche an sie habe.
    »Nein, gehen Sie nur ruhig zu Bett. Ich habe alles, was ich brauche«, sagte Katharina.
    Die Dienstbotentür knarzte laut, als ich sie öffnete. Ich ging voran, die Kerze in der Hand. Ich führte Katharina durch den Kor
ridor, vorbei an einer Nische, in der ein Stallbursche schnarchte. Er öffnete kurz die Augen, glotzte uns stumpf an und schlief sofort wieder ein. Wir eilten hinaus in die kalte Winterluft. Mondlicht fiel auf frisch gefallenen Schnee.
    Ein Fuhrwerk ratterte vorbei, die Pferde vor den Kutschen an der Großen Perspektivstraße hoben die Köpfe. Einer der Kutscher, der schon einigen wärmenden Wodka intus hatte, säuselte:
     
    Sei so lieb, mein Augenstern,
    Versuch, wie meine Küsse schmecken …
     
    Sein Schnurrbart war ganz weiß vor Reif.
    »Schönen Abend, die Herren«, brabbelte er. Er musterte unschlüssig unsere Stiefel.
    »Wir würden gern mal einen ordentlichen Schluck aus deiner Flasche nehmen«, sagte ich. »Was willst du dafür?«
    Bevor ich sie daran hindern konnte, griff Katharina in ihre Tasche und zog ein Geldstück hervor.
    Die Flasche wechselte den Besitzer. Das Zeug schmeckte abscheulich, aber es tat seine Wirkung: Wie eine feurige Schlange schoss es direkt ins Hirn.
    Katharinas Augen glänzten. Ihre Hand fasste die meine, stark und fest.
     
    Im Palais der Prinzesin Naryschkina wurde Katharina schon erwartet.
    »Meine Schwester hat Graf Poniatowski überreden können, uns die Ehre seines Besuchs zu erweisen«, sagte Fürst Naryschkin und zwinkerte Katharina zu. »Anna und ich hoffen doch sehr, dass Sie für unsere Anstrengungen dankbar sind.« Nebenan sang jemand. Eine Stimme verlangte Champagner.
    Ich wollte gehen und sagte der Großfürstin, ich würde vor dem Palast auf sie warten, um sie wieder heimlich zurück in ihre Suite zu bringen.
    »Nein, Warenka«, sagte sie. »Ich möchte, dass du hier bei mir bleibst.«
    Fürst Naryschkin warf mir einen abschätzigen Blick zu. Die Tochter des Buchbinders sollte sich in Acht nehmen und nicht in Sphären eindringen, in denen sie nichts zu suchen hatte. Aber es dauerte nur einen Moment, dann hatte er sich wieder gefangen.
    »Madame Malikina ist natürlich herzlich willkommen.«
    Ich folgte Katharina in den Salon, der prächtig mit dicken Teppichen, reich vergoldeten Lehnstühlen und burgunderroten Samtvorhängen ausgestattet war. Auf dem Kaminsims blinkte im Kerzenlicht eine goldene Uhr, auf der ein einfältig lächelnder Cherub saß. Es schlug eben neun, als wir eintraten.
    Die Gäste, lauter Hofdamen, Fürsten und Grafen, tranken Champagner und plauderten. Fürst Naryschkin begann sogleich, den Großfürsten zu imitieren, wie er betrunken hin und her schwankend Geige spielte, und bekam viel Beifall für seine komische Einlage.
    Graf Poniatowski, sehr elegant in einen weißen, mit silbernen Borten eingefassten Rock gekleidet, stand auf, als er Katharina sah. Ein Lächeln ging in seinem Gesicht auf.
    »Hoheit«, sagte er.
    »Katharina«, verbesserte sie ihn. An diesem Abend sollte es keine Titel, kein zeremonielles Getue geben, erklärte sie, nur Vornamen. Stanislaw, Anna, Lew, Warwara.
    Ich trat einen Schritt zurück, ich wollte nicht stören.
    »Ich werde Sie bei Ihrem richtigen Namen nennen. Sophie.« Er beugte sich vor, um ihr die Hand zu küssen.
    War es die Uniform, die sie so kühn machte? Das Gefühl einer ganz neuen Freiheit, nachdem sie den Reifrock und all die Unterröcke losgeworden war? War es der Wodka in ihrem Kopf?
    Katharina schlug die Hacken ihrer Stiefel zusammen und führte Stanislaws Hand an ihre Lippen.
    Einen Augenblick lang war er fassungslos. Dann wich der Ausdruck von Überraschung in seinem Gesicht dem schieren Entzücken. Die beiden schienen das Klappern von Geschirr, die Men
schen um sie herum nicht mehr wahrzunehmen, während sie einander mit wissendem Lächeln ansahen.
     
    Die Herrin des Hauses ließ immer neue Köstlichkeiten auftragen. Botwinja mit Lachs und Petersilie, Gurken mit Honig, Blini mit saurer Sahne, Borschtsch und Fischsuppe, Wachteln, geschmorte Pilze,

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