Der Winterpalast
man dort überall spürt. Solche Städte haben eine Aura, wie Menschen, die Leidenschaften und Sehnsüchte ausstrahlen. Paris, sagt er, ist ganz Lebensfreude.«
Meine Kutsche wartete. Ich stand auf, um zu gehen, aber Katharina hielt mich auf.
»Meinst du, ich komme irgendwann einmal da hin?«
»Nach Paris?«, fragte ich.
»Ja.«
»Wenn Sie es stark genug wollen.«
Ihre Augen wurden schmal, und dann ging plötzlich ein ganz sanftes Leuchten darin auf. »Ich kann nicht länger ohne Liebe leben, Warenka. Ich halte es keine einzige Stunde mehr aus.«
Ich lächelte. »Es scheint ganz so, als müssten Sie das auch gar nicht«, sagte ich.
Bevor der Hof aus der Sommerresidenz nach Sankt Petersburg zurückkehrte, schickte mich die Kaiserin noch einmal nach Oranienbaum.
Ich sollte mit dem Großfürsten sprechen. Es hatte Klagen darüber gegeben, dass Peter ein Regiment aus Holstein hatte kommen lassen. In einer Zeit, da ein Krieg mit Preußen unmittelbar bevorstand, musste das Ärgernis erregen.
Die Kaiserin war außer sich vor Zorn. »Mach diesem Schwachkopf klar, dass ich am Ende meiner Geduld bin, Warwara.«
Die Holsteiner in ihren blauen Uniformen hatten nicht weit vom Schloss ihr Feldlager eingerichtet. Ihre Verpflegung bekamen sie aus der Schlossküche. Die Dienstboten waren empört, dass sie »diese unverschämten Deutschen« bedienen mussten. Von verschiedenen Seiten war man schon öfter an die Kaiserin herangetreten und hatte sie gebeten, ein Machtwort zu sprechen.
Ich sah Elisabeths Gesicht, das vor lauter Ärger ganz rotfleckig war. Sie stapfte durch den Raum, als wollte sie mit dem Klacken ihrer Absätze ihren Worten Nachdruck verleihen. Die Sache musste aus der Welt, egal wie.
»Sorge dafür, dass ich von dieser leidigen Angelegenheit nichts mehr höre, Warwara.«
Ich knickste und machte mich auf den Weg.
In Oranienbaum verlangte ich die Großfürstin zu sprechen. Eine hochnäsige Zofe wollte mich nicht gleich zu ihr lassen, aber ich sagte ihr, es sei wichtig.
Katharina saß in ihrem Arbeitszimmer, zu ihren Füßen der kleine Bijou. Vor ihr auf dem Schreibtisch stand eine Kristallvase mit roten Rosen. Sie machte Wasserflecken auf dem Holz. Die Großfürstin sah mich und legte ihre Feder weg, zu hastig, sodass ein Tropfen Tinte auf das Blatt vor ihr fiel.
»Warenka«, rief sie. Sie streute Sand auf den Tintenklecks. »Du kommst wie gerufen.«
Ich wollte ihr erklären, warum ich hier war, aber sie hörte kaum zu. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Haar, ungepudert und von einem schlichten gelben Band zusammengehalten, glänzte.
»Er ist wieder da«, sagte sie.
»Graf Poniatowski?«
Sie nickte. Stanislaw war häufig zu Besuch, sagte sie, denn der Großfürst interessierte sich sehr für die Kriegstaten seines Vaters. Der alte General Poniatowski hatte vor sechsundvierzig Jahren in der Schlacht bei Poltawa an der Seite Karls XII . von Schweden gegen Peter den Großen gekämpft.
»Krieg!« Katharina verdrehte die Augen. »Sie reden immer nur vom Krieg.«
Das Interesse ihres Mannes galt nicht eigentlich dem Sieg der Russen über Schweden, auch nicht der Strategie seines Großvaters oder dessen politischer Vision – was ihn beschäftigte, war vielmehr die Frage, wie der geschlagene König von Schweden es geschafft hatte, die Russen zu täuschen und mit General Poniatowskis Hilfe der Gefangennahme zu entgehen.
Der Großfürst machte es seiner Frau leicht, dachte ich.
»Das ist nicht gerade das, was die Kaiserin im Moment hören will«, sagte ich ernst.
»Wieso, Warenka?« Sie sah mich schelmisch an, dann bückte sie sich und nahm Bijou auf den Arm. »Vielleicht sollte man es ihr haarklein erzählen.«
Sie schaukelte ausgelassen Bijou hin und her. Das Hündchen kläffte aufgeregt.
Ihre Fröhlichkeit wurde mir zu laut. Ich legte warnend den Finger auf die Lippen.
Katharina setzte den Hund ab und umarmte mich. »Ich mache doch nur Spaß, Warenka. Komm jetzt, gehen wir. Wir werden uns amüsieren, du wirst sehen.«
»Dürfen wir Ihnen Gesellschaft leisten, meine Herren?«, fragte Katharina lächelnd, als wir das Arbeitszimmer des Großfürsten betraten.
In einer Ecke fuhr das Fräulein hoch wie von einer Tarantel gestochen.
Der Großfürst fuhr mit dem Finger über eine Landkarte, die vor ihm lag. Er trug seine blaue preußische Uniform. Ich hatte gesehen, wie sein Kammerdiener mit glühenden Kohlen Löcher in den Stoff gebrannt hatte, die aussehen sollten wie Einschusslöcher von
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