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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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ja mehr gemeinsam, als ich zu hoffen gewagt hatte.«
    Ich war nicht überrascht, als am Abend ein Diener von der britischen Botschaft zu uns kam und eine Kiste Rotwein nebst einem Korb mit allerlei Köstlichkeiten abgab.
     
    Mitte Oktober lief das höfische Leben in der Residenz bereits wieder in den gewohnten Bahnen. Allerdings wurde die übliche Abfolge von Empfängen, Soireen und Premieren im Russischen Theater immer wieder dadurch unterbrochen, dass die Kaiserin nach Peterhof fuhr, wo mehr Komfort geboten war.
    Sie befragte jetzt immer häufiger das Kartenorakel. Herz Sieben: gebrochene Versprechen. Pik Ass: schlechte Nachrichten. Pik Sechs: Besserung in Sicht. Kreuz Zehn: ein unerwartetes Geschenk. Eine Weile lang zeigte sich immer wieder der Pik Bube in Konstellationen, die nicht so recht zu deuten waren, aber doch eher Ungutes verhießen. Als sie zu den Tarotkarten wechselte, war es der Turm, der wiederholt auftauchte, auch er ein Zeichen, dass sich etwas zusammenbraute, dass sich Spannungen gewaltsam entladen würden.
    Kartenleserinnen, bärtige Weise, zahnlose alte Frauen raunten Warnungen vor einer Verräterin, davon, dass ein Schwert das Leben eines Kindes bedrohe, faselten von Möwen, die plötzlich aufflogen. Des Teufels Ränke oder die Schatten, die Engelsflügel warfen, konnten den Lauf der Staatsgeschäfte hemmen. Audienzen wurden im letzten Moment abgesagt, wichtige Dokumente nicht unterzeichnet, aufgrund von irgendwelchen Prophezeiungen wurden Zeitpläne umgeworfen und Reiserouten geändert.
    Der Kanzler war der Verzweiflung nahe. Was für Dokumente auch immer er ihr vorlegen wollte, ließ die Kaiserin ihm ausrichten, so werde sie sich doch heute nicht damit befassen. Er solle ein andermal wiederkommen. Regieren war jetzt nur noch ein Geduldsspiel. Es kam einzig und allein darauf an, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, einen Moment, in dem Elisabeth in der rechten Laune war, milde gestimmt von einer Glückskarte oder von einem Traum, der Gutes prophezeit hatte.
    Oft sah ich ihn mit hängenden Schultern hinausgehen, Papiere unter dem Arm, nachdem die Kaiserin ihn fortgeschickt hatte. Einmal, als ich allein im Vorzimmer saß, fragte er mich: »Haben Sie Gelegenheit gefunden, der Großfürstin meine Hochachtung zu übermitteln?«
    »O ja«, sagte ich.
    »Und was hat sie geantwortet?«
    »Nichts.«
    Er wartete vergeblich darauf, dass ich weitersprach. Ich blickte auf, um mich an seiner Enttäuschung zu weiden, aber ich sah nur Verachtung über sein Gesicht flackern.
     
    Ende Oktober wurde es an den Abenden eisig kalt und windig. Den Pferden hängte man Decken über den Rücken, von ihren Nüstern wehten weiße Atemwölkchen. An der Großen Perspektivstraße standen Kutscher in langen Schafspelzmänteln, stampften mit den Füßen und rieben sich die Hände, während sie darauf warteten, dass ihre Herren endlich erschienen. Immer wieder sah man den einen oder anderen eine Flasche aus der Tasche ziehen und einen Schluck trinken.
    »Was machen die da?«, fragte Katharina, als wir uns aus dem Palast schlichen.
    »Das ist Wodka. Zum Aufwärmen.«
    »Die Großfürstin hat auch Anspruch auf ein bisschen Zerstreuung«, hatte Fürst Lew Naryschkin gesagt. Er war auf die Idee gekommen, an den Tagen, an denen die Kaiserin in Peter
hof war, abends einige Freunde ins Haus seiner Schwester einzuladen. »Man muss es nur so anstellen, dass niemand davon erfährt.«
    Ich sah die kindliche Freude in Katharinas Augen aufblitzen, als er diesen Vorschlag machte. Ohne Erlaubnis der Kaiserin den Palast verlassen! Verkleidet!
    »Hilfst du mir dabei, Warenka?«, fragte sie.
    Ich versprach es ihr, und hielt mein Wort.
    Ich muss heute noch lächeln, wenn ich daran denke, wie wir mit fliegenden Händen unsere Kleider aufknöpften, die Unterröcke fallen ließen, wie wir die Korsetts enger schnürten, damit wir flachbrüstig aussahen. Bei ihr klappte das nicht gleich, aber dann fiel mir zum Glück die Leinenbinde ein, die die Hebamme ihr nach der Geburt zum Bandagieren gegeben hatte. Ich hatte Uniformen des Preobraschenski-Regiments in ihr Zimmer geschmuggelt, und nun legten wir unsere Verkleidung an: weiße Reithosen, schwarze Stiefel und die enganliegenden Uniformröcke aus dunkelgrünem Tuch, die eine so schlanke Figur machten.
    Ein Offizier und sein Adjutant, die sich einen schönen Abend in der Stadt machen wollten.
    Ich erinnere mich, dass Katharina stramm die Hacken zusammenknallte und sagte: »Wer hätte gedacht, dass

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