Der Winterpalast
weiter.
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Warwara Nikolajewna, dass ich nicht ganz herzlos bin. Und wir beide setzen auf dasselbe Pferd. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen. Sie vergessen, was ich Ihnen beigebracht habe. Sie fangen an, Leuten zu trauen.«
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte ich.
Meine Stimme klang so zornig, dass er stutzte.
»Bitte«, sagte er, »nicht so laut. Wir machen nur einen netten kleinen Spaziergang durch den Garten. Wir werden doch wohl den Lauschern auf der anderen Seite der Hecke nicht den Gefallen tun, einen Streit anzufangen. Und gehen Sie ein bisschen langsamer, seien Sie so nett.«
Darja auf der Wiese schwenkte triumphierend ihr Schmetterlingsnetz und winkte. Ich blieb stehen und winkte zurück.
»Versichern Sie der Großfürstin, dass ich alles tun werde, damit ihr Wunsch in Erfüllung geht. Richten Sie ihr aus, ich bitte sie um Geduld. Die Sache ist nicht so leicht zu bewerkstelligen.«
Eine Schar Pfauen kam vorbei, würdevoll, ohne uns zu beachten schritten sie über den Kies und schleiften die langen Schwanzfedern wie Schleppen hinter sich her. Ich unterdrückte den Impuls, sie wegzuscheuchen.
»Ich soll den polnischen König überreden, ihren hübschen Polen als seinen Botschafter herzuschicken. Das wäre eine durchaus lösbare Aufgabe – es kommt aber eine Schwierigkeit hinzu, von der Stanislaw in seinen Briefen nichts erwähnt, nämlich die, dass auch seine Mutter überredet werden muss. Ich weiß es von meinen Warschauer Spionen: Die Gräfin Poniatowska traut der Großfürstin nicht.«
Er imitierte mit übertriebener Geste die Beschwörungen der besorgten Mutter: »Geh nicht zu ihr zurück, ich flehe dich an,
mein Sohn. Sie nutzt dich nur aus, sie hat nur ihr Vergnügen im Sinn … Sie wird dich mit Füßen treten, sobald sie hat, was sie will …«
Eine Erinnerung kam mir in den Sinn. Ich sah Katharina und Stanislaw am Tisch sitzen, auf dem noch die Teller vom Abendessen standen, und mit dem Finger auf der Landkarte die Route einer imaginären Reise zeichnen. Es war eine wunderschöne alte Karte, ein handkolorierter Kupferstich. Die großgedruckten Worte Imperii Moscovitici sprangen mir ins Auge. Warum brennen wir nicht einfach zusammen durch? , hatte Katharina ihrem Geliebten zugeflüstert.
»Gräfin Poniatowska irrt sich«, sagte ich.
»Ich bitte Sie, Warwara, nutzen Sie einen jener vertraulichen Momente, in denen Sie die Großfürstin mit Ihrer Schwester verwechseln, und flüstern Sie ihr ins hübsche Ohr, dass ich, ihr ergebener Diener, alles tun werde, um sie mit ihrem Geliebten wieder zu vereinen, dass sie aber selbst dann, wenn mir das nicht gelingt, mit mir zusammenarbeiten sollte. Sagen Sie ihr, dass die Liebe, alles in allem genommen, nicht so schrecklich wichtig ist, wie man immer meint. Sie weiß das ohnehin, auch wenn sie es sich noch nicht eingestehen kann.«
»Wieso sollte ich Ihnen helfen?«
»Jetzt, in diesem besonderen Fall, meinen Sie?«
»Jetzt und überhaupt.«
»Jetzt deswegen, weil sie mich braucht. Und überhaupt, weil ich weiß, was Sie noch nicht wissen.«
Ich hasste ihn aus ganzer Seele. Dafür, was er aus mir gemacht hatte, seit ich, ein Waisenkind, das sich vertrauensvoll in den Schutz der kaiserlichen Macht begab, in Elisabeths verrottete Residenz gekommen war. Oder vielleicht noch mehr dafür, dass ich spürte, wie seine vergifteten Worte Zweifel in mein Herz gesät hatten?
Ich sah ihn an. Sein vom Alter gezeichnetes Gesicht verriet keine Gefühlsregung.
»Maman!«, rief Darja von der Wiese her. »Schau, was ich gefangen habe.«
Während ich zu ihr eilte, hinkte der Kanzler zurück zum Palast. Sein Stock grub tiefe Narben in den Kies.
Elisabeths übersteigertes Bedürfnis nach dramatischer Selbstdarstellung! Diese Gier danach, in den Gesichtern der Besucher Ehrfurcht aufleuchten zu sehen, wenn sie durch reich verzierte und vergoldete Portale von einem der prächtigen Repräsentationsräume zum nächsten geschritten waren und schließlich zur Kaiserin selbst gelangt waren! Die Gier, sie überwältigt nach Luft schnappen zu hören vor Staunen über die sanften Braun- und Gelbtöne des Bernsteinzimmers, die ganze Palette von Elfenbein bis zur Farbe dunklen Honigs, und darin sie in ihren herrlichen Gewändern, auf ihren hochhackigen Schuhen über die polierten Mosaikfußböden gleitend, ja schwebend wie eine Bienenkönigin. »Das ist alles so vulgär, Warenka«, hatte Katharina gemurmelt. »Sie hat den Geschmack der
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