Der Winterpalast
Privatsekretär arbeitete. Er musste nach Polen heimkehren, um dann als Diplomat, der unter dem Schutz seines Königs stand, nach Russland zurückzukommen.
»Eine Woche noch«, bettelte Katharina. »Oder wenigstens ein paar Tage.« Aber sie wusste, dass es keinen anderen Weg gab.
Nachdem Stanislaw nach Warschau abgereist war, ließ Sir Charles nichts unversucht, Katharinas Kummer zu lindern. Ich musste ihr Briefe von ihm überbringen. Einige davon gab Katharina mir zu lesen: Sie können voller Hoffnung in die Zukunft blicken, Sie beide. Lieben Sie ihn mit ganzem Herzen, und Sie werden einen Weg finden, wieder mit ihm vereint zu werden.
Im Mai 1756 griffen französische Truppen eine Garnison der Briten auf Minorca an. Der Krieg war in Europa angekommen.
England war mit Preußen verbündet.
Der König von Preußen war der Feind Russlands.
Selbst eine Spionin der Kaiserin konnte es nicht mehr wagen, in die britische Botschaft zu gehen.
Wieder einmal musste Monsieur Bernardi Briefe schmuggeln.
Acht
1756-1757
W ir hielten alle den Atem an und warteten: auf die Kriegserklärung, auf Briefe vom Geliebten, darauf, dass der Tod das trügerische Gleichgewicht der Macht verschob.
Im Sommer 1756 zog ich mit dem kaiserlichen Hofstaat nach Zarskoje Selo, froh darüber, dass ich Darja aus der Hitze und dem Lärm der Stadt wegbringen konnte. Allen beruhigenden Versicherungen von Monsieur Rastrelli zum Trotz verlief der Umbau des Winterpalasts keineswegs nach Plan. Man redete von Diebereien und Chaos. Die Zimmerleute hatten nicht genug Bauholz, es fehlte an Sand und Kalk. Die Kosten überschritten die Voranschläge um das Doppelte und mehr.
»Schon wieder so eine sonderbare Unstimmigkeit in den Rechnungen, Hoheit«, bemerkte der Kanzler. Auch sonst lag Vieles im Argen: Niemand überprüfte, ob auch wirklich das geliefert wurde, was bestellt worden war; Arbeiter saßen müßig herum, weil Baumaterial fehlte; Blattgold ging auf rätselhafte Weise »verloren«.
Ein Fehler , dachte ich.
Verschwendung beunruhigte die Kaiserin nicht. Sparsamkeit war am preußischen Hof zu Hause, wo man dünne Suppen aß, Kerzenstümpfchen einschmolz und jeden Abend ein genau abgewogenes Quantum Käse auf die Tafel stellte. Die Speisekammern überwachen? Kontrollieren, ob die Arbeiter auf der Baustelle etwas mitgehen ließen? »Kleinlicher Geiz, einer Monarchin mit großen Visionen unwürdig«, meinte Iwan Schuwalow.
Wenn Bestuschew bei der Kaiserin Gehör finden wollte, hätte
er besser davon sprechen sollen, dass Ihre Majestät nun noch ein Jahr in dem zugigen, viel zu kleinen Palast an der Großen Perspektivstraße zubringen musste.
Dass es eine Unverschämtheit war, die Kaiserin des russischen Reichs warten zu lassen.
Dass die Leute sich nicht genügend anstrengten.
Im Garten von Zarskoje Selo, auf der ungemähten Wiese hinter der lindgrünen Hecke, jagte Darja Schmetterlinge.
Ich hörte im Kies des Weges hinter mir ungleichmäßige Schritte knirschen.
Ich drehte mich um.
Der Kanzler kam hinkend auf mich zu. Sein rechtes Knie war steif, die rechte Hand, die den Spazierstock hielt, geschwollen. Die fröhliche Stimme meiner Tochter drang von der Wiese herüber. »Lauf weg!«, hätte ich ihr am liebsten zugerufen.
»Du bist wohl sehr stolz auf dich, was?«, murmelte er. Seine stahlblauen Augen funkelten böse.
Katharina hat es ihm gesagt, dachte ich. Wir schritten nebeneinander die Hecke entlang.
»Es gibt Fehler, die du dir nicht leisten kannst, Warwara. Einer davon ist der, mich zu unterschätzen.«
In seiner Stimme klang Bitterkeit. Das tat mir gut. Offenbar war Katharina gnadenlos offen gewesen. In meinem Rachedurst war ich versucht, noch Salz in seine Wunden zu streuen: Nein, sie hatte nie etwas mit Naryschkin … Selbst Ihre Spione lassen sich manchmal aufs Glatteis führen … Wenn Sie mein Freund sein wollen, beweisen Sie es.
Er riss mich aus meinen Gedanken. »Ich kann ihr nützlicher sein als dieser britische Angeber, der meint, er könne ihr beibringen, wie sie Kaiserin wird.«
Ich beschleunigte meine Schritte. »Sir Charles möchte, dass die Großfürstin glücklich ist. Und ich möchte das auch.«
»Hier geht es nicht um Glück, Warwara.« Er lachte abfällig.
»Hier geht es um Macht. Er ist britischer Botschafter, und darum will er, dass sie Kaiserin wird. Das brauche ich dir doch wohl nicht zu erklären.«
Er keuchte bereits und lief rot an, aber er bat mich nicht, langsamer zu gehen. Und redete
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