Der Winterpalast
russischen Bäuerin, die sie immer bleiben wird.«
Wenn die Großfürstin nach Zarskoje Selo kam, begrüßte die Kaiserin sie aufs freundlichste, erkundigte sich, ob sie gut geschlafen, ob sie ihre Migräne endlich überstanden hatte. Katharina revanchierte sich mit Komplimenten: Es verschlug einem den Atem, wenn man sah, mit welch leichter Anmut Elisabeth tanzte. In ihrem neuen Ballkleid hatte die Kaiserin so wunderschön ausgesehen wie an jenem Wintertag in Moskau, an dem Katharina Ihrer Majestät zum ersten Mal begegnet war.
Elisabeth fing wieder an, den Großfürsten und die Großfürstin ihre geliebten Kinder zu nennen. Sie hatten ihr eine so große Freude bereitet, als sie ihr einen Erben schenkten. Sie wartete jetzt auf eine Wiederholung des freudigen Ereignisses.
Paul war jetzt fast zwei Jahre alt und ging immer noch mit sehr vorsichtigen wackligen Schritten. Die Kindermädchen zogen ihm weite Kleidchen an und banden seine goldenen Löckchen mit einem blauen Bändchen zusammen. Zwei von ihnen folgten ihm
auf Schritt und Tritt, immer bereit, ihn aufzufangen, wenn er ins Stolpern geriet. Jeden Morgen inspizierte Elisabeth die Brüste der Ammen. Wenn sie nur den kleinsten Makel entdeckte, wurde die Frau sofort aus dem Dienst entlassen.
Wenn jetzt die Großfürstin nach Zarskoje Selo kam, erlaubte ihr die Kaiserin, ihren Sohn zu sehen.
Diese unregelmäßigen Besuche empörten mich, es war ein grausames Spiel für die Mutter und das Kind. Die Kaiserin legte die Bedingungen fest: Am Nachmittag … nicht länger als eine halbe Stunde … und ich möchte immer dabei sein.
Das Kinderzimmer verwandelte sich in ein Schlachtfeld, auf dem die Kaiserin immer triumphierte. Sie überließ nichts dem Zufall: Sie betrat das Kinderzimmer, ängstlich beobachtet von den Ammen, die inständig hofften, sie möge bemerken, dass sie es nicht an Eifer fehlen ließen. Hinter ihr kam Katharina, den Blick gesenkt, immer darauf bedacht, ja keine falsche Bewegung zu machen, ja kein falsches Wort zu sagen.
»Tjotja!« , quiekte Paul, sobald er die Kaiserin sah, und ruderte aufgeregt mit den Armen wie ein sonderbarer Vogel, der gerade das Fliegen lernt.
Er riss sich von dem Kindermädchen los und stürzte auf sie zu. Sie hob ihn hoch, kitzelte seinen Bauch, lachte, wenn er nach den Perlen in ihrem Haar griff.
Jeder Kuss, jedes Wort war genau gemessen und gezielt – auf Katharinas Herz.
»Mein Täubchen … mein kleiner Prinz … Zeig mir dein Äuglein … dein Näslein … deine kleinen Zehen.«
Katharina stand reglos da in ihrem blassgelben Kleid, das mit Blüten bestickt war, die Hände auf dem Rücken, ein angestrengtes Lächeln auf den Lippen. Ich sah, wie sie die Ringe an ihren Fingern drehte, als könnte einer von ihnen irgendeinen Märchenzauber entfesseln, ihr Flügel verleihen oder sie in eine Maus, eine Katze, einen Raubvogel verwandeln.
Sie vor all dem Gift schützen.
»Weißt du, wer dich heute besuchen kommt? … Kennst du deine Maman noch? … Wo ist sie? … Wo ist deine Maman?«
»Maman«, sagte Paul, aber das Wort war eine leere Hülse. Wenn seine Tante auf ihn einredete, er solle doch Katharina ansehen, drückte er scheu sein Gesicht an den Busen der Kaiserin.
»Du willst, dass sie geht, nicht wahr, kleiner Mann? Du möchtest, dass sie dich in Ruhe lässt.«
Ich merkte mir alles: die affektiert süßliche Stimme, jedes triumphierende Lächeln. Eines Tages , dachte ich, wirst du es noch bitter bereuen. Eines Tages kommen all die Menschen, die du gequält hast, als Spukgespenster über dich.
In jenem Sommer hatte Elisabeth ein Porträt des Großfürsten Paul malen lassen. Es zeigte ihn in der Uniform des Preobraschenski-Regiments auf seinem Schaukelpferd, in der Hand einen hölzernen Säbel. Der Künstler hatte sich nur zwei Sitzungen ausgebeten. »Ein Kind mit so bemerkenswerten Zügen kann ich weitgehend aus dem Gedächtnis malen.«
Pauls Gesicht über dem grünen Uniformrock wirkte kühn und entschlossen. Besonders gut gefielen der Kaiserin der rosa Ton der Wangen und der silbern blinkende Säbel, der wie eine echte Waffe aussah.
Sie hörte es gerne, wenn die Höflinge erklärten, er ähnele seinem Urgroßvater, man sehe sofort, dass das Blut der Romanows in seinen Adern fließe.
Das Porträt hing in einem vergoldeten und mit Diamanten besetzten Rahmen in ihrem Schlafzimmer neben einem Bild, das sie selbst als kleines Mädchen zeigte, hingestreckt auf einer Hermelindecke, ein Medaillon
Weitere Kostenlose Bücher